Politische Konsequenzen Die unveränderten Einstellungen des klassischen Judentums gegenüber Nichtjuden prägen noch immer stark seine Anhänger, die orthodoxen Juden und jene, die seine Tradition offensichtlich fortsetzen, nämlich die Zionisten mit ihrem großen Einfluß auf die Politik des Staates Israel. Seit dem Jahre 1967 wird Israel immer "jüdischer", so daß mehr jüdisch-ideologische Erwägungen als kalt berechnete imperialistische Interessen die Politik bestimmen. Ausländische Experten bemerken in der Regel diesen Einfluß nicht. Sie neigen dazu, den Einfluß der jüdischen Religion auf die israelische Politik nicht zur Kenntnis zu nehmen oder herunterzuspielen. Dies erklärt auch, warum ihre Voraussagen nicht eintreffen. In der Tat verursachen religiöse und oft triviale Gründe mehr als alles andere israelische Regierungskrisen. Außer in Kriegszeiten und bei sicherheitsbedingten Spannungen widmet sich die hebräische Presse hauptsächlich der Diskussion der dauernd auftretenden Streitigkeiten innerhalb der verschiedenen religiösen Gruppen oder zwischen den religiösen und weltlichen Gruppen. Zur Zeit der Niederschrift dieses Buches (Anfang August 1993) lauteten einige den Lesern der hebräischen Presse wichtige Themen: Ob im Kampf gefallene Soldaten mit mütterlicherseits nichtjüdischen Vorfahren in einem abgegrenzten Teil der israelischen Militärfriedhöfe begraben werden sollen, ob es jüdischen religiösen Bestattungsunternehmen, die ein Monopol für das Begräbnis aller Juden mit Ausnahme von Kibbuz-Mitgliedern haben, erlaubt sein soll, den Brauch der Beschneidung von Leichnamen nichtbeschnittener Juden vor dem Begraben fortzusetzen (und dies, ohne die Erlaubnis der Familie einzuholen) und ob der Import nichtkoscheren Fleisches nach Israel, der seit der Errichtung des Staates inoffiziell verboten ist, gesetzlich zuzulassen oder zu verbieten ist. Es gibt viele weitere Fragen dieser Art, die in der israelisch-jüdischen Öffentlichkeit mehr Interesse finden als etwa Verhandlungen mit den Palästinensern und mit Syrien. Die Versuche einiger weniger israelischer Politiker, die Faktoren der "jüdischen Ideologie" zugunsten rein imperialistischer Interessen zu ignorieren, hat katastrophale Ergebnisse gezeitigt. Nach der teilweisen Niederlage im Jom-Kippur-Krieg hatte Israel Anfang 1974 ein lebenswichtiges Interesse, den steigenden Einfluß der PLO einzudämmen, die bis dahin von den arabischen Staaten noch nicht als einzig legitime Vertretung der Palästinenser anerkannt war. Die israelische Regierung plante nämlich damals, den jordanischen Einfluß im besetzten Westjordanland zu fördern. Als man König Hussein um seine Mitwirkung bat, verlangte er ein sichtbares quid pro quo. Mit der Einwilligung von Verteidigungsminister Mosche Dajan wurde damals vereinbart, daß der wichtigste Unterstützer im Westjordanland, Scheich Jabri in Hebron, der den südlichen Teil mit eiserner Faust regierte, eine Festivität für die Honoratioren der Region im Hofraum seiner Luxusresidenz in Hebron geben sollte. Diese Feier zu Ehren des Geburtstages des Königs, auf der die jordanischen Fahnen öffentlich gezeigt werden sollten, war als Beginn einer projordanischen Kampagne gedacht. Aber die religiösen Siedler im nahegelegenen Kirijat Arbat, damals nur eine Handvoll, hörten von dem Plan und setzten die Premierministerin Golda Meir und Dajan mit energischen Protesten unter Druck, da, wie sie es sagten, das Aufziehen der Fahne eines "nichtjüdischen Staates" im Lande Israel dem heiligen Prinzip widerspräche, nach dem das Land nur den Juden "gehört". Da alle Zionisten diesem Prinzip huldigen, mußte die Regierung sich ihren Wünschen beugen und Scheich Jabri anweisen, keine jordanische Fahne zu zeigen. Daraufhin sagte Jabri, der sich tief gedemütigt fühlte, die Feier ab. Kurz danach fand die Konferenz der Arabischen Liga in Fez statt, auf der König Hussein dafür stimmte, die PLO als alleinige Vertretung der Palästinenser anzuerkennen. Für die Masse der israelisch-jüdischen Öffentlichkeit beeinflussen solche jüdischen ideologischen Erwägungen mehr als alles andere ebenfalls die derzeit laufenden Verhandlungen über die "Autonomie". Aus dieser Darstellung der israelischen Politik und der dazugehörigen Analyse des Judaismus ergibt sich zwangsläufig, daß Untersuchungen der in Israel praktizierten Politik immer in die Irre führen, wenn sie nicht die einzigartige Bedeutung des Begriffes "jüdischer Staat" hervorheben. Insbesondere ist der leichtfertige Vergleich Israels mit westlichem Imperialismus oder Kolonistenstaaten nicht korrekt. Während der Apartheid "gehörte" Südafrika offiziell zu 87% den Weißen und zu 13% den Schwarzen. Außerdem errichtete man offiziell souveräne Staaten, die sogenannten Homelands oder Bantustans, die alle mit den Symbolen der Souveränität ausgestattet waren. Doch die "jüdische Ideologie" verlangt, daß kein Teil des Landes Israel als den Nichtjuden "gehörig" zuerkannt werden kann und keine Zeichen der Souveränität (wie die jordanische Fahne) öffentlich gezeigt werden dürfen. Das Prinzip der Erlösung des Landes fordert, daß im Idealfall das gesamte Land (und nicht nur beispielsweise 87%) im Laufe der Zeit "erlöst", d.h. von Juden in Besitz genommen werden. Die jüdische Ideologie verbietet das sehr bequeme Prinzip des Imperialismus, das schon die Römer kannten, dem viele Weltreiche anhingen und das Lord Cromer am besten formulierte: "Wir regieren nicht Ägypten - wir regieren die Regierenden von Ägypten". Die jüdische Ideologie verbietet solches; sie verbietet sogar den Anschein einer respektvollen Haltung gegenüber allen "nichtjüdischen Regierenden" im Lande Israel. Den ganzen Apparat von Königen, Sultanen, Maharadschas und Häuptlingen als Vasallen oder - wie in unseren Zeiten - abhängigen Diktatoren, so bequem er auch in Fällen imperialistischer Hegemonie ist, kann Israel nicht in dem Gebiet einsetzen, das man das Teil des Landes Israel betrachtet. Somit entbehren die häufig von Palästinenser ausgesprochenen Befürchtungen, ein "Bantustan" angeboten zu bekommen, jeder Grundlage. Nur wenn zahlreiche jüdische Leben in einem Krieg verlorengehen, wie es 1973 und in dem kriegerischen Nachspiel im Libanon 1983 bis 1985 geschah, ist ein israelischer Rückzug denkbar, da er sich durch das Prinzip rechtfertigen läßt, daß die Heiligkeit jüdischen Lebens Vorrang vor allen anderen Erwägungen hat. Nicht aber möglich ist, solange Israel ein "jüdischer Staat" bleibt, die israelische Gewährung einer vorgetäuschten, aber nichtsdestoweniger von den Symbolen her realen Souveränität oder sogar eine echte Autonomie für Nichtjuden im Lande Israels nur aus politischen Gründen. Israel ist wie einige andere Länder ein exklusivistischer Staat, und der Exklusivismus ist ein Privileg Israels selbst. Vermutlich beeinflußt die "jüdische Ideologie" nicht nur die israelische Politik, sondern auch einen bedeutenden Teil, wenn nicht den größten, der in der Diaspora lebenden Juden. Die Umsetzung der jüdischen Ideologie in reale Maßnahmen erfordert ein starkes Israel, was wiederum zu einem beträchtlichen Ausmaß von der Unterstützung abhängt, welche die Juden, besonders in den USA, Israel zukommen lassen. Das Bild der Juden in der Diaspora und ihre Haltung gegenüber Nichtjuden unterscheidet sich stark von den oben beschriebenen Einstellungen des klassischen Judaismus. Diese Diskrepanz fällt besonders in den englischsprachigen Ländern auf, in denen die gröbsten Verfälschungen des Judaismus regelmäßig vorkommen. Am schlechtesten ist die Lage in den USA und Kanada, den zwei Staaten, in denen die israelische Politik und die politischen Linien, die am deutlichsten den menschlichen Grundrechten der Nichtjuden widersprechen, die stärkste Unterstützung findet. Die US-Hilfe für Israel läßt sich nicht einfach als Ergebnis der amerikanischen imperialistischen Interessen deuten, wenn man sie nicht im Abstrakten, sondern in konkreten Einzelheiten untersucht. Auch muß man den starken Einfluß, den die organisierte jüdische Gemeinde in den USA zur Unterstützung der gesamten israelischen Politik ausübt, berücksichtigen, will man die Nahostpolitik der amerikanischen Regierungen verstehen. Noch auffälliger ist dieses Phänomen im Falle Kanadas. Dieses Land hat wohl kaum starke Interessen im Nahen Osten, zeigt aber gegenüber Israel noch größere Loyalität als die USA. In beiden Ländern (und auch in Frankreich, Großbritannien und vielen anderen Staaten) unterstützen die jüdischen Organisationen Israel mit derselben Loyalität, wie es die kommunistischen Parteien im Falle der UdSSR solange getan haben. Ebenso legen viele Juden, die die Menschenrechte so aktiv zu verteidigen und nonkonforme Ansichten über andere Fragen zu hegen scheinen, in Sachen Israel ein hohes Maß an Totalititarismus an den Tag und stehen in vorderster Front bei der Verteidigung der gesamten israelischen Politik. Man weiß in Israel nur allzugut, daß der Chauvinismus und Fanatismus der organisierten Juden in der Diaspora (besonders seit 1967) viel ausgeprägter ist als der Chauvinismus beim durchschnittlichen israelischen Juden. Dieser Fanatismus zeigt sich besonders in Kanada und den USA. Weil er aber eine unvergleichlich höhere politische Bedeutung in den USA hat, konzentriere ich mich auf letzteren. Dabei ist jedoch anzumerken, daß es auch Juden gibt, deren Ansichten über die israelische Politik sich nicht von denen unterscheiden, die der Rest der Gesellschaft (unter entsprechender Berücksichtigung der Geographie, des Einkommens, der sozialen Stellung usw.) hegt. Warum sind also, manchmal bis zum Exzeß, amerikanische Juden chauvinistisch und andere nicht? Wir sollten dabei mit einer Untersuchung der sozialen und deshalb auch politischen Bedeutung der jüdischen, ihrer Natur nach ausgesprochen exklusiven Organisationen beginnen, da sie nämlich prinzipiell keine Nichtjuden zulassen. (Dieser Exklusivismus steht im Gegensatz zu dem Eifer, mit dem sie auch den obskursten nichtjüdischen Club verdammen, der die Aufnahme von Juden verweigert.) Diejenigen, die man "organisierte Juden" nennen kann und den größten Teil ihrer Freizeit in Gesellschaft anderer Juden verbringen, halten augenscheinlich den jüdischen Exklusivismus hoch und konservieren die Haltung des klassischen Judaismus gegenüber Nichtjuden. Unter den derzeitigen Umständen können sie ihre Einstellung gegenüber Nichtjuden in den USA, in denen die Nichtjuden mit 97% die Bevölkerungsmehrheit bilden, nicht offen vertreten. Als Ersatz drücken sie ihre echte Einstellung mit der Unterstützung des "jüdischen Staates" und der Behandlung aus, die er den Nichtjuden im Nahen Osten zukommen läßt. Wie anders sonst können wir den Enthusiasmus erklären, den so viele amerikanische Rabbiner bei der Unterstützung für etwa Martin Luther King zeigten, vergleicht man ihn mit der fehlenden Unterstützung für die Rechte der Palästinenser und sogar für ihre individuellen Menschenrechte? Wie sonst können wir den schreienden Widerspruch zwischen der Haltung des klassischen Judaismus gegenüber Nichtjuden mit der Vorschrift, daß das Leben letzterer nur um jüdischer Interessen willen zu retten sei, und der Unterstützung der amerikanischen Rabbiner und organisierten Juden für die Rechte der Schwarzen erklären? Schließlich sind Martin Luther King und der größte Teil der amerikanischen Schwarzen Nichtjuden. Auch wenn man berücksichtigt, daß nur die konservativen und orthodoxen Juden, die zusammen die Mehrheit der organisierten amerikanischen Juden bilden, solche Ansichten über die Nichtjuden pflegen, so hat der andere Teil des amerikanischen Judentums, nämlich die reformierten, nie Stellung gegen sie bezogen und scheint meiner Ansicht nach stark unter ihrem Einfluß zu stehen. Dieser offene Widerspruch läßt sich allerdings leicht auflösen. Man muß sich nämlich immer daran erinnern, daß der Judaismus, besonders in seiner klassischen Form, der Natur nach totalitär ist. Das Verhalten der Vertreter anderer totalitärer Ideologien in unserer Zeit unterschied sich in Nichts von dem Verhalten der organisierten amerikanischen Juden. Stalin und seine Helfershelfer verdammten unermüdlich die Diskriminierung der amerikanischen oder südafrikanischen Schwarzen, und zwar besonders auf dem Höhepunkt der schwersten von der UdSSR verübten Verbrechen. Das südafrikanische Apartheid-Regime wurde wie seine Unterstützer in anderen Ländern nicht müde, die Verletzungen der Menschenrechte durch entweder die Kommunisten oder andere afrikanische Regimes anzuprangern. Viele ähnliche Beispiele lassen sich hier anführen. Eine Unterstützung der Demokratie oder der Menschenrechte ist deshalb bedeutungslos oder sogar schädlich und betrügerisch, beginnt sie nicht mit einer Selbstkritik und der Verteidigung der Menschenrechte, wenn die eigene Gruppe sie verletzt. Jede allgemeine Unterstützung der Menschenrechte durch einen Juden, der dabei nicht die durch den "jüdischen Staat" verletzten Menschenrechte berücksichtigt, ist genauso ein Täuschungsmanöver wie die Verteidigung der Menschenrechte durch einen Stalinisten. Der auffällige Eifer, mit dem sich amerikanische Juden oder die jüdischen Organisationen bei der Unterstützung der Schwarzen im Süden der USA in den 50er und 60er Jahren zeigten, war, wie die kommunistische Unterstützung für dieselben Schwarzen, lediglich durch Erwägungen des jüdischen Selbstinteresses motiviert. In beiden Fällen handelte es sich dabei allein um den Versuch, die schwarze Gemeinschaft politisch zu vereinnahmen und, im Falle der Juden, eine blinde Unterstützung der israelischen Politik im Nahen Osten zu erheischen. Deshalb ist die echte Probe, auf die sich sowohl Israelis als auch die Juden in der Diaspora gestellt sehen, eine Selbstkritik, zu der auch eine Kritik der jüdischen Vergangenheit gehört. Der wichtigste Teil solch einer kritischen Überprüfung besteht jedoch in einer ausführlichen und ehrlichen Konfrontation mit der jüdischen Haltung gegenüber Nichtjuden. Dies ist genau das, was viele Juden gerechterweise von den Nichtjuden verlangen, sich nämlich der eigenen Vergangenheit zu stellen und sich so der Diskriminierung und Verfolgungen bewußt zu werden, die die Juden erleiden mußten. In den letzten 40 Jahren überstieg die Anzahl der von Juden getöteten Nichtjuden bei weitem die Anzahl an Juden, die Nichtjuden umbrachten. Das Ausmaß der
Verfolgungen und Diskriminierungen gegen Nichtjuden durch
den "jüdischen Staat" mit der Unterstützung der
organisierten Juden in der Diaspora ist weitaus
größer als das Leiden, das feindliche Regimes den
Juden zufügten. Obwohl der Kampf gegen den
Antisemitismus (und gegen alle anderen Formen des Rassismus)
nie aufhören darf, hat der Kampf gegen den
jüdischen Chauvinismus und Exklusivismus, zu dem auch
eine Kritik des klassischen Judentums gehört,
mittlerweile die gleiche oder noch größere
Bedeutung.
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A/ 1- Israel - ein Utopia für Auserwählte?
B/ 6- Vorurteile und Verfälschungen
C/ 12- Orthodoxie und Interpretation
D/ 23- Die Bürde der Geschichte
E/ 33- Gesetze gegen Nichtjuden
F/ 49- Politische Konsequenzen
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