Ein moderner Hexenprozess

Ahmed Rami

 
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Die Befragung Professor Jan Bergmans

 

  • Als einer von zwei Sachverständigen der Verteidigung trat beim Prozess gegen Ahmed Rami Professor Jan Bergman auf. Dies wurde ihm von der zionistischen Mafia bis zum heutigen Tage nicht verziehen, denn fast jede Woche reitet die eine oder andere "schwedische" (oder "norwegische", oder "dänische") Zeitung eine hasserfüllte Attacke gegen den Wissenschaftler, womit meist die Forderung verbunden wird, die Universität Uppsala solle diesen "Antisemiten" doch endlich zum Teufel jagen. Doch da die Meinungsfreiheit in Schweden trotz allem noch bedeutend grösser ist als in anderen Ländern der freien Welt, unterrichtet Bergman noch heute. Wir geben seine Aussage beim Rami-Prozess im folgenden wieder.

    Advokat Folke: Herr Jan Bergman, berichten Sie zu Beginn einmal über Ihre wissenschaftlichen Leistungen.

    Bergman: Ich bin Professor für Religionsgeschichte, und mein Spezialgebiet ist der Nahe Osten. Dies bedingt, dass ich mich sowohl mit dem Judentum als auch mit dem Islam aufs eingehendste befasst habe. Ich bin in erster Linie Historiker, aber als solcher arbeitet man auch viel mit Texten. Ich habe Exegetik mit Hieroglyphen, Koptisch, Hebräisch, Griechisch, Latein usw. betrieben. Exegetik interessiert mich ganz besonders. Ich erteile in diesem Wintersemester einen Exegetikkurs; seit 15 Jahren besuche ich regelmässig die höheren Seminarien in der Exegetik des Neuen Testaments, was für einen Professor, der ein anderes Fach unterrichtet, gewiss ungewöhnlich ist.

    Adv. F: Was heisst "Exegetik"?

    Bergman: Der Ausdruck "Exegetik" bedeutet wörtlich, dass man einem Text seine Bedeutung entnimmt. "Ex ago" heisst "entnehmen". In anderen Worten, man deutet einen Text kritisch und unter Berücksichtigung historischer Gesichtspunkte.

    Adv. F: Ist ein Historiker, ein Religionshistoriker, etwas ganz anderes als ein Exeget?

    Bergman: Man kann sagen, dass die Exegetik um die Texte des Neuen, aber auch des Alten Testaments an den theologischen Fakultäten schon seit sehr langem betrieben wird. Wir haben es also mit einer traditionsreichen Wissenschaft zu tun. Es ist völlig klar, dass ein Religionshistoriker, je nach seinem Fachgebiet, ebenfalls mit Texten arbeitet, und ich stehe in der Tradition jener Religionshistoriker, welche sich eingehend mit Texten auseinandergesetzt haben. Da kommt einem die Exegetik, also die besondere Erfahrung, die man im Umgang mit Texten gewonnen hat, sehr zustatten.

    Adv. F: Auf dem Gebiet welcher Religionen haben Sie exegetische und historische Kenntnisse?

    Bergmann: Historische Kenntnisse besitze ich auf dem Gebiete der Religionen des Mittelmeergebiets. In Betracht kommen in unserem Zusammenhang das Judentum, der Islam, aber auch die östlichen christlichen Kirchen, denen manche Palästinenser anhängen. Wenn es sich als notwendig erwies, konnte ich auch Texte deuten. Gelegentlich bin ich auf Hilfe von Spezialisten angewiesen.

    Adv. F: Sie haben sich also auf den Nahen Osten spezialisiert. Welche Folgen hatte das für ihre wissenschaftliche Tätigkeit?

    Bergman: Ich begann als Historiker, kann aber auch Ägyptologie auf Professorenstufe unterrichten und habe mich mit den Hieroglyphen beschäftigt. Weiter zurück kann man kaum greifen, wenn es um die Deutung von Texten geht. Wir haben es hier mit einer fünftausend-jährigen Tradition zu tun. 1975 erhielt ich eine neu benannte Professor-enstelle. Vorher gab es nur ein Professorat in Religionsgeschichte mit dem Schwergewicht auf Religionspsychologie, doch nun entstand eine Professorenstelle für Religionsgeschichte mit dem Schwerpunkt Naher Osten. Es war dies einige Jahre nach dem Oktoberkrieg.

    Ich begriff damals, dass ich, um Forschungsaufgaben zu erfüllen, die den Erwartungen der Gesellschaft entsprachen, auch moderne Studien betreiben musste. Dies tat ich auch bereits nach ein paar Jahren, zusammen mit anderen Kollegen von der Theologischen Fakultät Uppsala sowie der Universität von Uppsala.

    Ferner entwarf ich die Richtlinien für ein Westasien-Projekt, das sich mit Interaktion befasst. Darunter versteht man die Wechselwirkung von Religionen, Kulturen und Politik im Nahen Osten in Gegenwart und Vergangenheit. Letzeres gab den Ausschlag für die Professur und deren Einrichtung. Früher hatte ich hauptsächlich Geschichte studiert, doch während der verflossenen zehn Jahre konzentrierte ich mich mehr auf die Gegenwart und die modernen Fragestellungen im Nahen Osten sowie auf die alten Kulturen.

    Adv. Folke: War dies auch mit Aufenthalten an den erforschten Orten verbunden?

    Bergman: Es versteht sich von selbst, dass man heutige Strömungen nicht studieren kann, ohne recht viel zu reisen. Ich war wohl sieben- oder achtmal in Israel, ein paarmal im Libanon, das eine oder andere Mal im Iran und mehrfach in Ägypten. Auch Libyen und andere nordafrikanische Länder habe ich besucht, um nur die in unserem Zusammenhang relevanten Reisen zu nennen.

    Adv. F: Eine weitere Frage: Auf welchen Unterlagen fussen Ihre Beurteilungen, und über welches Ihnen zur Verfügung stehende Material werden Sie bei diesem Prozess sprechen?

    Bergman: Das von der Anklage verwendete Material, Tonband-aufnahmen, das Buch Vad är Israel? Selbstredend habe ich bei der Beurteilung all dessen auch mit vielem Vergleichsmaterial gearbeitet, und darauf kommen wir wohl im Zusammenhang mit den gestellten Fragen zurück.

    Adv. F: Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie Zugang zu allen hier zur Debatte stehenden Unterlagen hatten?

    Bergman: Ja.

    Adv. F: Hatten Sie auch Zugang zu Tonbandaufnahmen von anderen Programmen, auf die sich die Anklage nicht erstreckt?

    Bergman: Nein. Ich war der Meinung, das Buch Vad är Israel? sei dafür ein vollwertiger Ersatz, da ich denke, das Entscheidende sind nicht einzelnde Programme, sondern eine Gesamtbeurteilung, und da kann man wohl davon ausgehen, dass die von der Anklage erfassten Punkte die anstössigsten sind. Ramis Ausgangspunkt ist Gaza, nicht die "Dialoge" Stendahls!

    Adv. F: Kommen wir auf Ihre Auffassung von Ramis Botschaft zu sprechen! Wie lautet die Botschaft, die er verbreiten möchte, und warum will er dies? Zu welchen Ergebnissen kamen Sie bei der Durchsicht des Materials?

    Bergman: Für mich ist es sonnenklar - und darum muss man diese Frage als erstes aufgreifen - dass die treibende Kraft hinter Ahmed Ramis äusserst energischer, intensiver und repetitiver Tätigkeit eine unbeugsame Solidarität mit den Palästinensern und deren Schicksal ist. Das Inhaltsverzeichnis des Buches Vad är Israel? bringt dies auch gut zum Ausdruck. Es drückt den Standpunkt der Unterlegenen, der Unterdrückten, der Menschen auf der Westbank und im Gazastreifen aus.

    Die Ausgangsposition ist doch die, dass seit dem 7. Dezember 1987 (dem Beginn der Intifada) täglich ein Mensch, ein Palästinenser, erschossen wurde oder durch andere Gewalttaten seitens des israel-ischen Staates umgekommen ist, ganz abgesehen von den Verwundet-en und sonstwie Geschädigten. Dies ist mit grossem Leiden verbunden, mit Gewaltshandlungen, tätlichen Übergriffen und Hass. Von alle dem gibt es im heutigen Israel und in den besetzten Gebieten mehr als genug. Wer auch nur eine Seite des Buches Vad är Israel? gelesen oder ein einziges Programm von Ahmed Rami gehört hat, weiss darüber Bescheid.

    Kurz, es geht hier um Kampf, Leiden, Tod und Opfer... Ich halte es für ungemein wichtig, dass wir uns darüber einig sind. Auch Bischof Krister Stendahl hat heute morgen ja zugegeben, dass dies der Aus-gangspunkt ist.

    Natürlich kann man sich immer fragen, ob hinter jeder Aussage und hinter jedem Programm dies und nur dies liegt. Doch jedenfalls ist es der Hauptfaktor, und es scheint mir ganz offenbar, dass es Ahmed Ramis wichtigstes Anliegen ist.

    Sein Ausgangspunkt ist beispielsweise die heutige Lage im Gazastreifen. Und dort geht es nicht um einen Dialog, sondern um Polemik, um eine Streitschrift also. Kein Leser von Vad är Israel? und kein Hörer von Radio Islam soll, wie Stendahl, sagen, da herrsche ja gar keine Ausgeglichenheit. Um solche geht es nämlich überhaupt nicht. Es ist wichtig, zu wissen, mit welchem Ziel jemand etwas tut, und naturgemäss gibt es die verschiedensten Stufen und Methoden, seine Ziele zu verwirklichen.

    Selbstverständlich ist mir persönlich ein Dialog weitaus sympathischer als ein Gefecht, daran besteht kein Zweifel. Doch leider Gottes muss ich feststellen, dass es im heutigen Israel so wenig Anstösse zu einem Dialog gibt. Wir sollen Ahmed Rami nicht danach beurteilen, ob er ein guter Debattenredner ist, denn darauf hat er nie Anspruch erhoben. Es liegt auf der Hand, dass dieses Buch Vad är Israel? nicht in einen Dialog im engeren Sinne des Wortes passt. Sieht man die Sache hingegen auf einem breiteren Hintergrund, so sollte jedes menschliche Zusammenleben, wie Krister Stendahl sagte, auf ein besseres gegenseitiges Verständnis ausgerichtet sein, so dass man wenigstens langfristig zu einer Verständigung gelangen kann.

    Ich sehe Ramis Tätigkeit so, dass sie, trotz ihrer sprachlichen Form, hier vielleicht doch eine gewisse Funktion erfüllen kann, wenn man sich die Grösse der Schwierigkeiten vor Augen hält und die Probleme definiert. Für Krister Stendahl war dies ein wichtiger Punkt: in einem Dialog versteht es sich von selbst, dass jede Seite sich selbst darstellen und seine lebende religiöse Kultur aus seinem Innersten offenbaren darf. Betrachtet man die gegenwärtige Situation im Nahen Osten, und stellt man sich die Frage Vad är Israel? - Was ist Israel? -, so muss man verlangen, dass die direkten und indirekten Opfer des militaristischen und expansionistischen Staates Israel sich ebenfalls selbst darstellen dürfen.

    Zugegebenermassen tun sie dies vielleicht nicht besonders gut, und man muss schon genau hinsehen, um nicht nur ihren Hass zu entdecken, sondern auch ihre Angst und Verzweiflung angesichts der herrschenden Lage. Es liegt mir daran, zu betonen, dass ich die beanstandeten Texte und Tonbandaufnahmen in diesem allgemeineren Rahmen analysiert habe.

    Adv. F: Ich habe Sie vor allem als Experten befragen wollen, um Ihre Meinung zu den Bibelzitaten zu hören, die in den beanstandeten Texten figurieren. Welche gemeinsame Überschrift würden Sie über diese Zitate setzen? Gehören sie alle zu einem gewissen Typus von Bibeltexten?

    Bergmann: Die Exegetik ist eine Wissenschaft. Diese Wissenschaft betreibt Ahmed Rami nicht. Ahmed Rami hat keine Ausbildung als Exeget genossen. Dies bedingt, dass er, wenn er Bibelzitete anführt, sich meist mit einem oder einigen Versen begnügt. Dabei stützt er sich voll und ganz auf die schwedische Bibelübersetzung. Er hat also keinen Versuch unternommen, verschiedene Bibelübersetzungen zu vergleich-en. Es gibt ja keine objektive Norm. Er hat die Texte ausgewählt, wo "vernichten" und nicht "verheeren" oder etwas Ähnliches steht; er hielt sich an den Wortlaut der schwedischen Bibel und hat diese, soweit ich überprüft habe, richtig zitiert.

    Er nennt die Stellen, wo die Zitate stehen, jeweils genau, was in einer Polemik durchaus nicht selbstverständlich ist. Er sagt nicht: "Aus hundert Beispielen wähle ich dieses aus", sondern zitiert eine Stelle nach der anderen. Es ist dies eine einfache Methode, mit Texten umzugehen. Doch bietet er dem Leser die Möglichkeit, sich selbst durch Nachschlagen zu vergewissern, dass er korrekt zitiert. Seine Auswahl steht natürlich im Zusammenhang mit seinem Anliegen. Rami knüpft sich eine bestimmte Tradition oder eine bestimmte Gruppe in Israel vor, die seiner Auffassung nach direkt oder indirekt für die israelische Politik verantwortlich ist, und verweist dann auf die passenden Bibelstellen.

    1976 veröffentlichte ein Jakobus Schonefeld in Amsterdam eine Abhandlung, der in erster Linie Studien in Israel zugrunde lagen. Sie heisst: "Die Bibel in der israelischen Ausbildung. Eine Studie der verschiedenen Arten, wie man sich der hebräischen Bibel nähern kann." Die hebräische Bibel ist unser Altes Testament. Es geht also um deren Auslegung in der in Israel benutzten pädagogischen Literatur. Man hat es hier mit ganz konkretem Material zu tun. Den Hauptteil nimmt dabei die Untersuchung des in den ersten Schuljahren in Israel verwendeten Materials ein, bei dem Texte aus der hebräischen Bibel eine zentrale Rolle spielen.

    Auf Grund seiner Detailstudien gelangt Jakobus Schonefeld zu dem, was er als vier verschiedene Verhaltensweisen gegenüber diesen Texten bezeichnet. In der Schule geht es auch nicht um eine tiefschürfende Exegetik, so dass wir seine Folgerungen hier voll auswerten können. Er beschreibt die vier Verhaltensweisen wie folgt: "Der erste Weg liegt darin, die heutige Lage" - er spricht von "Selbstidentität", denn er denkt an den einzelnen Schüler oder den einzelnen Lehrer, aber wir können einfachheitshalber wohl von der "heutigen Lage" reden - an dem Bibelwort misst.

    Adv.F: Was bedeutet das?

    Bergman: Es bedeutet, dass das Bibelwort zur Norm wird. In der Praxis verhält es sich so, dass man, soll dieses Vorgehen auch wirklich funktionieren, die Bibel aufs genaueste kennen muss, um für jede heutige Situation eine passende Bibelstelle zu finden. Die Bibel ist ja die alte Quelle, aus der alle heutigen Normen spriessen. Sie bestimmt die gebotene Handlungsweise. Meinen Taten liegt ja in erster Linie ein System von in der Bibel fixierten Regeln zugrunde. Unter diesen Umständen unterstelle ich die heutige Situation der Autorität der Bibel. Somit erfüllt die Bibel eine normative Funktion.

    Das zweite Modell besteht laut Jakobus Schonefeld darin, dass man die heutige Lage in die alten Quellen "hineinprojiziert", d.h. mit der modernen Situation anfängt. Die Exegetik entnimmt einem Text etwas, die Eisegetik liest die eigene Lage darin hinein. In beiden Fällen werden der Text und die aktuelle Situation aufs engste miteinander verknüpft.

    Man kann sagen, im zweiten Falle gehe man von den konkreten Gegebenheiten der Gegenwart aus und suche dann einen Bibeltext, der einem einen geistigen Halt verleiht und Lösungsmöglichkeiten aufzeigt. Dann gibt es einen dritten Weg. Hier spricht Schonefeld ganz einfach von einer Konfrontation; er geht wiederum von der heutigen Lage aus, und die in der Bibel beschriebenen Geschehnisse haben scheinbar gar nichts damit zu tun. In diesem Fall zeigt der alte Text einfach, dass sich die Gegebenheiten grundlegend gewandelt haben.

    Schliesslich besteht noch ein vierter Weg, der einem etwas wissen-schaftlicheren (oder "objektiven") Modell eher entspricht. Man gestattet sich bei der Deutung des Textes gewisse Freiheiten. Man legt eine historisch-kritische Haltung an den Tag, führt verschiedene Argumente an, entnimmt dem Text eine bestimmte Passage und sagt, sie habe vielleicht unter Umständen, wenn auch nicht unbedingt im vorliegenden Fall, eine gewisse Gültigkeit. Diese vierte Methode ist die noch am ehesten wissenschaftlich-kritische. Man kann wohl sagen, dass die dritte und die vierte der vier geschilderten Methoden mehr Arbeit erheischen, während die ersten beiden verhältnismässig einfach sind. Es wäre meiner Auffassung nach ganz nützlich, näher zu betrachten, welchem dieser vier Modelle die Methode Ahmed Ramis entspricht und welches Vorgehen er der israelischen Gesellschaft vorwirft.

    Im grossen ganzen schlägt Ahmed Rami den zweiten Weg ein. Er geht von der gegenwärtigen Lage in Palästina aus, von den reellen Leiden. Dies ist ganz augenscheinlich. Er projiziert die heutige Situation in diese Texte hinein und meint, die Übereinstimmung sei höchst verblüffend.

    Ferner schlachtet er jene Stellen im Alten Testament aus, in denen berichtet wird, wie die Feinde der Juden ausgerottet werden. Leider Gottes gibt es manche Leute, die - wie z.B. Morton Narrowe, der aus den USA stammende schwedische Oberrabbiner in einem Zeitungs-artikel - behaupten, diese grausamen Texte gehörten überhaupt nicht zur jüdischen Überlieferung...

    Ich komme auf die Frage der Textauswahl zurück. Betrachtet man sie von jüdischer Seite, so würde ich sagen - und Morton Narrowe würde mir da wohl recht geben -, dass den Kern dieser Texte, den wahrscheinlich greulichsten Texten, um die es hier geht, Passagen bilden, welche man als die Herem-Texte sowie die Amalek-Texte bezeichnet. Sie entstammen in erster Linie den Büchern Mose, Josua und Richter, welche die Eroberung des Landes und den jüdischen Anspruch darauf beschreiben.

    Man tötete die ägyptischen Erstgeborenen, und darauf folgte der wunderbare Gang durch das Schilfmeer. Die Israeliten wurden gerettet, und Pharao ging mitsamt seinen Heerscharen elendiglich zugrunde. Die betreffenden Texte zeigen in hohem Masse, wie das Pendel in beiden Richtungen ausschlägt. Des einen Brot ist des anderen Tod - kein ungewöhnliches Phänomen.

    Doch andererseits war Amalek, oder das Volk der Amalekiter, der erste Feind, auf den die Stämme Israels stiessen. Als Erzfeind ist Amalek gewissermassen eine Art mystische Figur, ein Symbol für jene, die, folgt man gewissen Bibelstellen, nach und nach vernichtet werden sollen und von dessem Namen nichts mehr übrigbleiben darf. Dies soll Schritt um Schritt geschehen. Das Wort "herem" kann mit "vernichten", "zunichte machen" oder "völlig zerstören" übersetzt werden. Die Amalek-Texte bilden also einen Bestandteil der Herem-Texte.

    Doch gibt es von letzteren noch mehr. Nach Amalek werden noch weitere sieben Völker ausgemerzt, die ein Hindernis auf dem Wege zur Eroberung und Inbesitznahme des gelobten Landes darstellen. Dies gilt etwa für die Kanaaniter, und diese werden manchmal als Sammelbegriff für jene sieben Völker betrachtet, manchmal aber auch als eines von den sieben dargestellt.

    Für einen Historiker ist es vollkommen einleuchtend, dass diese Texte eine nachträgliche Idealisierung sind, eine mystische Darstellung des Idealzustands, der darin bestünde, einziger Herr in seinem Lande zu sein.

    Was Ahmed Rami hier entdeckt, entspricht recht genau dem, was die Palästinenser täglich erdulden oder womit sie zumindest rechnen müssen, und deshalb greift er vor allem solche oder verwandte Texte auf. Verhält es sich in Tat und Wahrheit so, dass man diese Texte heute in Israel in grösserem Ausmass in die Wirklichkeit umzusetzen trachtet? Ist es nicht willkürlich, zu behaupten, diese Texte bestimmten gewissermassen direkt oder indirekt die Geschehnisse im heutigen Israel? Ein Teil meiner Aufgabe hier liegt darin, aufzuzeigen, wie gross die tatsächliche Rolle dieser Texte in Israel ist.

    Adv. F: Vielleicht sollten wir, ehe wir uns der gegenwärtigen Situation zuwenden, etwas darüber sagen, wie diese Herem-Texte eigentlich zustande gekommen sind. Kann man als Historiker eine klare Meinung dazu haben, inwiefern diese in den Büchern Mose und Josua stehenden Texte über die Eroberung des Landes und die dabei ablaufenden Geschehnisse von Anfang an als Normen, als Vorbilder, gelten sollten? Wie verhält es sich damit?

    Bergman: Es ist dies eine sehr lange Geschichte, die von volkstüm-lichen und mündlichen Überlieferungen bis zu Niederschriften, Ab-änderungen dieser Niederschriften und Abänderungen der Ab-änderungen reicht. Schliesslich wurden die Texte in der uns heute vorliegenden Form aufgezeichnet, wobei ich in erster Linie an das Deuteronomium, das fünfte Buch Mose, denke. Die Bücher Mose sind Moses Testament; in ihnen spricht Moses selbst fortwährend. Sie sind sozusagen seine Abschiedsrede, in denen er Vorschriften erlässt und seinen eigenen Tod voraussagt.

    Das Deuteronomium ist teilweise eine Zusammenfassung des viel-schichtigen Stoffs in den vier vorangegangenen Büchern - im vierten Buch geht es etwa um Volkszählung und Stämme, im dritten um die zahlreichen Gesetze zum Priestertum, im zweiten aus den Auszug aus dem Ägypterlande, im ersten um die Schöpfung, die Josefsgeschichte und so weiter. Kurz, der Stoff dieser Bücher ist ausserordentlich facettenreich. Doch was in unserem Zusammenhang am bedeutendsten ist, sind gewisse Stellen aus dem zweiten Mosesbuch, die mit der Schilderung der eigentlichen Eroberung im Buche Josua überein-stimmen.

    Im Deuteronomium, der "Abschiedsrede", wird festgehalten, was hinsichtlich des Bundes zu gelten hat. Zwei Wege werde ich euch vorlegen, sagt Moses. Der eine ist der Weg des Lebens. Wenn ihr meine Gebote und Anweisungen befolgt und den Bund getreu einhaltet, so werdet ihr auf dem Wege des Lebens, dem Wege Gottes wandeln - und ich bin mit euch. Der andere Weg ist der Weg des Todes ...

    Ein Teil der Texte ist vielleicht erst 700 Jahre nach den betreffenden Ereignissen endgültig schriftlich niedergelegt worden. Ihnen liegt eine lange Geschichte zugrunde, und wir können nur werweisen, wie sie begann und wie sie umgestaltet wurde. Doch jedenfalls wurden diese Texte als Schilderungen des Bundes verwendet, und man man hat ihnen Teile entnommen, die vielleicht bedingungslose Versprechungen waren.

    Im ersten Buch Mose ist natürlich auch viel von Versprechungen die Rede - an Abraham, Isaak, Jakob usw. Bisweilen sind sie mit der Bedingung verbunden: "Wenn ihr meine Gebote und Anweisungen einhaltet...", bisweilen werden sie ohne Bedingung erteilt, und hier gab es manche eifrige Diskussion: Soll man stillschweigend annehmen, dass doch Bedingungen vorlagen, oder gab es tatsächlich keine solchen?

    Natürlich hängt vieles davon ab, wie man eine solche Sache interpretiert
    ...

    Adv. F: Wie wurden diese Texte, die Herem-Texte und die Verheissungen, denn in der jüdischen Tradition im Verlauf der Jahr-tausende gedeutet? Können Sie kurz darauf eingehen?

    Bergman: Wenn wir etwa die Texte über Amalek betrachten, so stellen wir fest, dass es sich um eine zwar stufenweise, aber letztlich totale Vernichtung handelt, die mit der Auslöschung des Namens Amalek selbst ihren Höhepunkt erfährt. So wird das Prinzip der totalen Vernichtung ausgedrückt. Deshalb spielt die Yad-Vashem-Gedächtnis-stätte in Jerusalem, das an die Opfer der "Shoa" erinnern soll, eine so wichtige Rolle. Dort sind nämlich die Namen der Opfer aufgelistet. Sie sind also nicht verloren gegangen und erinnern an die Toten.

    Doch in den zur Diskussion stehenden Texten steht eben gerade, dass nicht nur Amalek, sondern auch sein Name ausgelöscht werden soll. Es geht also ausdrücklich um eine Totalvernichtung ...

    Die Frage ist gar nicht, wie man diese Texte normalerweise auslegt. Man müsste hier weiter ausgreifen und über verschiedene Arten des Judentums und deren unterschiedliche Interpretation der Bibel reden. Massgeblich ist für unseren Zweck lediglich, wie man es in der heutigen, konkreten Situation damit hält - gibt es Beispiele dafür, dass man diese Bibelstellen in die Praxis umzusetzen versucht?

    Adv. F: Ganz genau das wollte ich Sie fragen.

    Bergman: Ja.

    Adv. F: Gibt es in weltlichen, politischen Fragen in Israel heute eine Argumentation, welche sich auf diese Texte stützt?

    Bergman: Durchaus. Ich werde nun eine kleine Dokumentation präsentieren, und ich darf gleich vorausschicken, dass es keine heitere Lektüre sein wird... Greifen wir zuerst ein gewichtiges Beispiel heraus, dass Anlass zum Nachdenken geben wird. Es handelt sich um eine Broschüre, die von den bewaffneten israelischen Streitkräften heraus-gegeben worden ist, und zwar vom Zentralkommando. Ein Mitverfasser ist der oberste Armeerabbiner.

    Die Schrift wurde nach dem Oktoberkrieg abgefasst und verbreitet. Die Überschrift lautet: "Die Nachwirkungen des Jom-Kippur-Krieges. Einige Betrachtungen, Halacha und die Forschung." Unter Halacha versteht man die normative Seite des Judentums, die oft auch als "Mitzva" bezeichnet und von Ahmed Rami in seinen Sendungen und Schriften regelmässig erwähnt wird. Das Wort bedeutet "Gebot", wobei es sich um ein positives oder ein negatives Gebot handeln kann. Es gibt insgesamt 613 solche "Mitzvot", wie der Plural von "Mitzva" lautet. Bei Diskussionen steht sehr häufig eine solche Mitzva am Anfang.

    Die Wissenschaft, die sich damit beschäftigt, nennt man "halachisch". Sie setzt sich aufs eingehendste damit auseinander, wie verschiedene Dinge mit diesen allgemein anerkannten 613 Mitzvot in Beziehung gebracht werden können.

    Gerichtsvorsitzender: Was ist das genau für ein Dokument, worauf Sie sich beziehen, Herr Professor Bergman?

    Bergman: Dieses Dokument ist in einer höchst angesehenen israelischen Zeitung, nämlich Haol'am Hazeh, veröffentlicht worden. Das Vorwort entstammt der Feder eines im Zentralkommando der Armee angestellten Generals namens Jona Efrati, und darin steht:

    "Diese Studien sind der Erinnerung an jene Soldaten geweiht, die ihr Leben dafür gaben, dass wir weiterexistieren können. Mögen diese Studien Kerzen zum Angedenken an unsere unlängst den Märtyrertod gestorbenen Söhne sein."

    Man muss dies also im Schatten des Oktoberkrieges von 1973 sehen. Und da haben wir einen Halacha-Artikel, der über die Pflicht aufklärt, Zivilisten umzubringen; hier wird ausdrücklich auf eine Herem-Stelle Bezug genommen, und sie wird auch auf Zivilisten bezogen. Der Titel der Schrift lautet "Die Waffen zu reinigen". Der oberste Militärrabbi, Oberstleutnant Avidan, leitet seinen Artikel wie folgt ein: "Die israelische Armee wird allgemein als Heer anerkannt, welches seine Soldaten dazu erzieht, streng auf die Reinheit der Waffen zu achten." Über diese "Reinheit der Waffen" ist in Israel ausgiebig debattiert worden.

    Sehen wir uns diese Diskussion etwas näher an. "Ehe sie zu Felde ziehen, und im Rahmen der operationellen Instruktionen, wird den Soldaten der klare und unzweideutige Befehl erteilt, friedlichen Zivilisten keinerlei Schaden zuzufügen. Das Ziel dieses Beitrags besteht darin, verschiedene Aspekte dieser komplexen und heiklen Frage vom Standpunkt der Halacha aus zu prüfen."

    Diese Einleitung stellt also klar, dass die Armee sich zur Genfer Konvention bekennt, der zufolge man keine Zivilisten töten darf. Doch anschliessend geht Rabbi Avidan ausführlich auf die religiösen Gebote ein

    Es wird fleissig zitiert. Es werden ausgiebige Beweise dafür erbracht, dass man im Krieg schon immer Zivilisten getötet hat, das man das Recht - und unter gewissen Umständen sogar die Pflicht - hat, Zivilisten zu töten.

    Rabbi Avidan bezieht sich beispielsweise auf die Tosafoth. Darunter versteht man eine Tradition, die zugegebenermassen ausser-halb der talmudischen liegt. Wir haben die hebräische Bibel, die Mishna sowie Ergänzungen dazu, welche man Gemarah nennt, und schliesslich zwei Versionen des Talmud, von denen die eine Kohmenerah heisst und aus dem 5. Jahrhundert stammt, während die zweite autoritativer und vollständiger ist und um 500 n.Chr. entstand; man bezeichnet sie als den jerusalemitischen Talmud. Die Tosafoth gehören also nicht zu den eben erwähnten heiligen Schriften, doch misst man ihnen in der jüdisch-orthodoxen Tradition beinahe den gleichen Stellenwert bei.

    Avidan schreibt: "Es erweist sich, dass israelische Truppen, die den Feind angreifen, laut den Geboten der Tosafoth und den halachischen Gesetzen auch Zivilisten umbringen müssen, die sich unterwerfen oder, in anderen Worten, sich anständig verhalten. Es steht geschrieben: Du sollst die besten unter den Heiden töten. Dazu besteht eine Variante:

    Du sollst die besten unter den Ägyptern töten.

    Adv. F: Aus welcher Schrift zitiert Avidan da? Erwähnt er dies?

    Bergman: Nein; die Passage, wo es heisst, man müsse die besten unter den Heiden töten, steht wohl in der hebräischen Bibel. Woher die anschliessend genannte Variante kommt, ist mir nicht ganz klar. Klipp und klar wird also gesagt, man dürfe auch die besten unter den Heiden nicht schonen, jene, die sich an die Gesetze halten, gefügig und eigentlich über jeden Verdacht erhaben sind. Die "besten" könnten ja zu den "schlechtesten" werden und sich als Verräter entpuppen. Das ist also eine typische Stelle.

    Avidan schreibt weiter: "Es ist bereits gesagt worden, dass man die besten unter den Heiden töten soll, und dass keiner darauf vertrauen darf, ein Heide werde unseren Truppen keinen Schaden zufügen, denn der Verdacht bleibt stets bestehen, dass er in einer gewissen Phase der Kämpfe dies sehr wohl tun kann, entweder indem er dem Feinde Unterschlupf gewährt oder indem er ihn mit Nachrichten versorgt..."

    Dieser Gedankengang ist natürlich ganz unvereinbar mit der Genfer Konvention, welche das Töten von Zivilisten untersagt. Diese können ja stets verdächtigt werden, ihren eigenen Landsleuten freundlicher gesinnt zu sein als den Truppen des Eroberers.

    Es folgt die Auslegung einer Stelle aus dem zweiten Mosebuch, wo es vielleicht sogar um Proselyten geht, um Ägypter, die während der 200 bis 300 Jahre, in denen das Volk Israel nach der Ankunft Josefs und vor dem Auszug Mose im Ägypterlande weilte, sich dem Judentum zuwandten. Ihre Wagen wurden nicht zerstört. Später wurde berichtet, gerade ihre Wagen habe man zur Verfolgung der Juden auf dem Weg zum Roten Meer benutzt.

    Somit wird also die Verletzung des Völkerrechts mit einem Abschnitt aus dem zweiten Mosesbuch gerechtfertigt.

    Rabbi Avidan fasst zusammen: "Unsere Quellen erweisen klar, dass man sich nie auf einen Heiden verlassen kann, so fortschrittlich und zivilisiert er auch sein mag. Zudem muss man sich stets in acht nehmen, dass ein äusserlich gesehen guter Heide dem Feinde keinen Beistand leistet. Darum kommt man unweigerlich zur Folgerung, dass jeder, der dem Feind beisteht, selbst als Feind zu behandeln ist. Ihr Beistand für den Feind verwandelt sie in ein feindliches Ziel und definiert sie als Feind, der getötet werden darf." Etwas weiter ergänzt Avidan:

    "Zivilisten, auf die unsere Streitkräfte im Krieg stossen, können getötet werden, ja sie müssen sogar getötet werden, wenn nicht sichergestellt werden kann, dass sie ausserstande sind, gegen uns zurückzuschlagen."

    Es wird hier also eine kleine Einschränkung gemacht. Doch bleibt diese in der abschliessenden Zusammenfassung unberücksichtigt, wo es heisst: "Man hat das Recht, ja die Pflicht, Zivilisten zu töten."

    Adv. F: Ihrer Meinung nach stützt sich Avidan also teils auf den zitierten Abschnitt aus dem zweiten Buch Mose, teils auf einen Text aus den Tosafoth?

    Bergman: Jawohl. Der Satz, wonach man die besten unter den Heiden töten soll, ist natürlich mit den Herem-Texten verwandt. Die radikale Formulierung beweist, dass es um die Ausrottung der Heiden geht. Bleiben wir bei unserer Broschüre. Es ist schon ein starkes Stück, dass diese vom Zentralkommando der Armee gutgeheissen und an die verschiedenen Einheiten verteilt worden ist. Es lässt sich leicht der Schluss ziehen, dass es der jungen Generation allzu leicht gemacht wird, sich diese normative, äusserliche und sehr simple Deutung zu eigen zu machen. Wir haben es hier mit der ersten der von mir genannten vier Deutungsmethoden zu tun.

    Adv. F: In welcher Form äussert sich dies?

    Bergman: Nehmen wir einmal den Rabbiner Shimon Weitzer. Er ist der Vorsteher einer Jeshiva-Schule namens Mudrashiat Noham. In einer jüdischen Zeitung (dem Jahresbuch besagter Schule, Band 11, 1974, S. 29) wird ein Briefwechsel wiedergegeben. Er ist ein alltägliches Beispiel dafür, wie das Judentum konkret funktioniert. Natürlich ist es eine auf schriftlicher Tradition basierende Religion, doch entscheidend ist, wie die Schriften von Rabbinern und Schulvorstehern heute gedeutet werden. Rabbi Shimon Weitzer hatte einen Brief von einem ehemaligen Studenten erhalten, der gerade seinen dreieinhalbjährigen Wehrdienst ableistete.

    Der Schüler berichtete ihm, in seiner Einheit sei eine hitzige Diskussion über die Frage der "Reinheit der Waffen" entstanden. Es ging also um die vorher genannte Broschüre. Mit dieser hatte der Schüler seine Schwierigkeiten. Er schrieb: "Vielleicht leben die Araber unter Amaleks Gesetz."

    Wir haben also das Schlüsselwort "Amalek" - trifft dieses auf die

    Araber zu oder nicht? Der Schüler - oder Student - hegt also Zweifel:

    Darf und soll man die Araber töten, sie ausrotten, die Erinnerung an sie tilgen? Gilt für sie die Genfer Konvention oder die Halacha? Rabbi Weitzer weiss Rat: "Es ist von den Nationen der Welt akzeptiert worden, dass der Krieg seine Spielregeln hat, ungefähr so wie Fussball und Basketball ihre Spielregeln haben, doch wir Juden sehen den Krieg nicht als Spiel - da sei uns Gott vor! -, sondern als Notwendigkeit, die uns um unseres Lebens willen auferlegt ist, und diese Tatsache bestimmt unser Auftreten."

    Die Genfer Konvention und die Gesetze der Heiden werden also mit einem Fussballmatch verglichen! Darauf variiert Weitzer das vorhin genannte Zitat ein wenig und schreibt: "Die besten unter den Ägyptern sollen getötet werden, die besten unter den Schlangen sollen zerstampft werden." Dies ist ein deutliches Beispiel für dämonisierende Sprache. Ägypter und Schlangen sind keine menschlichen Feinde!

    Rabbi Weitzer kommt weiter auf Sanhedrin 72, Vers l (Mishna, Talmud) zu sprechen, wo es heisst, wenn es ums Töten gehe, so solle man so vorgehen, dass man den töte, der einen selbst töten wolle. Es sei ja, räumt er ein, reichlich schwierig, genau zu wissen, wer einen töten wolle, und dann folgt eine längere Erklärung darüber, dass ja alle Araber die Juden töten wollten. Der Student muss sich also sagen: "Ja, ich begreife, dass ich sie umbringen muss, selbst wenn ich dadurch in Konflikt mit dem Militärgesetz komme." In der Einleitung zur Broschüre ist ja auf gewisse Gesetze und die Genfer Konvention hingewiesen worden, doch in der halachischen Auslegung kommt man also zum Ergebnis, der "Amalek-Paragraph" trete in Kraft.

    Adv. F: Rekapitulieren wir! Sie berichteten von einem Jahresbuch, das von einer Yeshiva, einer religiösen Schule, herausgegeben wird, wo der Briefwechsel eines Rabbi Shimon Weitzer mit einem früheren Studenten abgedruckt ist, welcher seinen Militärdienst leistet.

    Der Student will von seinem Lehrer wissen, ob die Araber möglicherweise unter dem Gesetz Amaleks leben, und Weitzer antwortet u.a. mit Bibelzitaten wie "die besten unter den Ägyptern sollen getötet werden, die besten unter den Schlangen sollen zerstampft werden". Haben Sie hier noch etwas hinzuzufügen?

    Bergman: Ich kann auf einen Artikel von Menachem Hacohen hinweisen, der am 16. Juni 1989 in der Jerusalem Post erschien. Der Artikel heisst "Wild West Bank Rabbis" und sein Verfasser war früher Knessetabgeordneter. Er geisselt eine ganze neue Generation von Rabbinern, die das Buch der Psalter 149, Verse 6-8, halachisch auslegen: Ihr Mund soll Gott erheben, sie sollen scharfe Schwerter in ihren Händen halten, dass sie Vergeltung üben unter den Heiden, Strafe unter den Völkern, ihre Könige zu binden mit Ketten und ihre Edlen mit eisernen Fesseln, dass sie an ihnen vollziehen das Gericht, wie geschrieben ist. Die junge Rabbinergeneration lege dies so aus, dass jüdisches Blut mehr wert sei als arabisches ...

    Adv. F: Hacohen meint also, hier habe man es mit einer Tendenz zu tun?

    Bergman: So ist es. Besonders nach 1973 trat diese Tendenz krass zutage. Die Gush-Emunim-Bewegung entstand wohl bereits nach dem Junikrieg des Jahres 1967, aber formell hat sie sich erst 1974 konstituiert, also im gleichen Jahr, in dem die erwähnte Broschüre verfasst wurde. Der Gush Emunim ist recht einflussreich. Er ist aber schwer fassbar, weil er ohne jede Führung arbeitet. Zwar gibt es eine Gruppe von fünf bis sechs führenden Ideologen, fast alle Rabbiner, unter denen Rabbi Lewinger der wichtigste ist. Diese Bewegung geniesst besonders unter den Siedlern hohes Ansehen, da sie ja selbst für eine forcierte Siedlungspolitik eintritt, hat aber auch unter den Militärs sehr viele Anhänger.

    Die Lage im heutigen Israel ist nicht zuletzt darum so brisant, weil man es unter den herrschenden Verhältnissen nicht wagt, gegen religiöse Extremisten vorzugehen, die sich politisch engagieren. Keiner will diese religiösen Gruppen vor den Kopf stossen.

    Für das Auditorium ist es vielleicht nützlich, daran zu erinnern, dass bei der Ausrufung des jüdischen Staates Israel am 14. und 15. Mai 1948 in der Gründungserklärung kein Bibelzitat vorkam, wohl aber eine sowohl für religiöse wie für nichtreligiöse Juden annehmbare Formulierung. Es wurde vom "Felsen Israels" gesprochen, und jeder bibelfeste Jude weiss sogleich, dass dieser Fels laut dem Buch der Psalter Gott ist. Doch steht der Ausdruck nicht in Anführungszeichen.

    Für nichtreligiöse Juden drängt sich die Assoziation mit "Massada, das nicht wieder fallen soll" auf. Der "Felsen" ist dann das befestige Israel, welches je nach Quelle die viert- oder fünftgrösste Militärmacht der Erde ist. Der Gegensatz zwischen religiös und weltlich denkenden Juden hat also von der Gründung des israelischen Staates an eine bedeutsame Rolle gespielt. Kann man Jude und Demokrat zugleich sein?

    Diese Problematik zeigt sich auch darin, dass Israel keine Verfassung hat. Dies geht u.a. darauf zurück, dass manche extremreligiösen Gruppen sich nie mit den für ihren Geschmack zu vagen Formulier-ungen über die Grenzen Israels oder die Frage, wer Jude sei, abge-funden haben. Als kleine Kostprobe für die ganz eigenartigen Verhältnisse in Israel diene die Tatsache, dass es dort für Nichtjuden in der Praxis keine Religionsfreiheit gibt.

    Angesichts dieser Umstände hat die orthodoxe Judenschaft eine dominierende Stellung erlangt, wenn es um die Auslegung der Halacha geht. Dies bedingt, dass grosse Gruppen, vielleicht die Mehrzahl der amerikanischen Juden, nicht als vollwertige Juden anerkannt werden, wie es die orthodoxen Juden Israels sind.

    Ich habe auf Ereignisse hingeweisen, die sich 1948 abspielten, und führe nun ein Beispiel aus dem Jahre 1989 an. Damals deutete das Wahlergebnis stark auf eine Koalition zwischen dem Likud und ultraorthodoxen Juden hin. Die USA übten Druck auf, um die Bildung einer solchen Regierung zu verhindern. Eine solche hätte die Bedingungen dafür, dass jemand als Jude anerkannt wurde, vielleicht verschärft, was dazu geführt hätte, dass ein reformierter, liberaler oder konservativer Jude einem orthodoxen nicht gleichgestellt gewesen wäre.

    Sowohl 1948 als auch heute, im Jahre 1989, bemerken wir also sehr komplexe und gespannte Situationen, wo eine stark orthodoxe Religiosität in der Gesellschaft einen verblüffend grossen Einfluss ausübt.

    Adv. F: Können Sie noch ein Beispiel für eine auf die heutige Lage bezogene Bibelauslegung in Israel anführen?

    Bergman: Ja. Ich gebe Ihnen ein ganz zentrales Beispiel, das sich die Juden stets mit einer Mischung aus Freude und Entsetzen vor Augen gehalten haben. Es geht um die Episode in Abrahams Leben, wo sein absoluter Gehorsam gegenüber Gott auf die Probe gestellt werden soll. Abraham soll seinen Sohn Isaak opfern ... Hier im ersten Mosesbuch steht es ganz eindeutig: Der Schlüssel zu dieser Tradition liegt in dem Begriff "Akeda".

    Adv. F: Was heisst "Akeda"?

    Bergman: Der Ausdruck leitet sich von der Textstelle "und er band" her. Abraham band nämlich seinen Esel fest, ehe er den Berg bestieg, um das Opfer zu vollbringen. Man wird einwenden, das Festbinden des Esels sei nun wirklich nicht das Wichtigste an dieser Stelle. Doch damit wird angedeutet, dass in diesem Augenblick der Weg nach oben begann, der in die Frage mündete: "Hier ist das Holz, wo ist das Opfertier?" "Akeda" symbolisiert das Vorurteil, dass Abraham blind gehorche, ohne zu denken.

    In welchem Zusammenhang wird es nun gebraucht? Wie in früher erwähnten Fällen gibt es zahlreiche Möglichkeiten, diesen Ausdruck praktisch anzuwenden und darzulegen, dass es sich um ein Vorurteil handelt. Übrigens hat der von mir bereits genannte Schonefeld, der die Rolle der Bibel im israelischen Unterricht beleuchtet hat, dieses "Akeda" als allererstes Beispiel angeführt. Er hat die verschiedenen Bücher durchgeackert und kam zum Ergebnis, in rund der Hälfte der Fälle werde so unterrichtet und erzogen, dass der Schüler den Eindruck erhalten müsse: Tu es wie Abraham, gehorche blind! Sei sogar bereit, deinen eigenen Sohn zu schlachten!

    Dann ist man um so leichter bereit, Amalek zu schlachten, also Israels Feinde, und die Ägypter, oder "die besten unter den Ägyptern", oder "die besten unter den Heiden". In der Hälfte der untersuchten Beispiele finden sich verschiedene Stufen von Auslegungen. Ich nehme eine Auslegung, die noch ausgeprägter ist und sich auch einem Heft über den religiösen Zionismus figuriert, welches von Os wer Shalom herausgegeben wurde. Dort greift ein Ariel Shimon dieses Beispiel auf und betont, wie gefährlich es natürlich sei. Beim existentiellsten aller nordischen Schriftsteller, Sören Kirkegaard, findet die Opferszene ihren Niederschlag. Bei ihm finden sich drei oder vier Szenen, wo er beschreibt, wie Abraham nachdenkt, und interessanterweise verweist eines der untersuchten israelischen Schulbücher auf Kirkegaard ...

    Ich könnte eine lange Reihe von Beispielen sowohl aus dem Unter-richtswesen als auch aus der Gesellschaft anführen, wo der Begriff Akeda zur Unterdrückung jedes Arguments verwendet worden ist - tu es wie Abraham, mit der Waffe in der Hand! Das Hässliche liegt, wie ich betonen möchte, darin, dass diese direkte, unreflektierte Auslegung, also die buchstäbliche Befolgung des Bibelwortes, heute in den Kibbutz sehr gängig ist, wo man allgemein Waffen trägt, desgleichen in der Armee, wo man erst recht bewaffnet ist und allen möglichen Spielraum zum Handeln hat.

    Diese garstige Kombination - eine wortwörtliche Auslegung des genannten Begriffs und Waffen - ist in der israelischen Gesellschaft gang und gäbe. Os wer Shalom und andere sind sich dessen voll und ganz bewusst. Doch gibt es nichts daran zu rütteln, dass Os wer Shalom, der diese Auslegungsart ablehnt, eine einsame Stimme in der Wüste ist. Der Gush Emunim dagegen ist unvergleichlich einfluss-reicher und effektiver, und sein Einfluss ist meiner Meinung nach nicht gerade segensreich.

    Adv. F: Können Sie näheres über diese Organisation sagen? Ist sie eine politische Partei oder eine religiöse Gemeinschaft oder...

    Bergman: Der Gush Emunim ist bewusst wie eine politische Partei aufgezogen worden. Er geht aber keine Koalitionen ein - hoffentlich wissen alle Anwesenden, dass in Israel nie in den über 40 Jahren seines Bestehens die Alleinregierung einer Partei möglich gewesen ist, so dass stets Koalitionen erforderlich waren, und zwar oft sehr komplizierte und brüchige. Dies ist ein Bestandteil der israelischen Wirklichkeit. Der ultranationalistische Rabbi Meir Kahane hat seine Kach-Bewegung als politische Partei aufgebaut, die sich entsprechend klar bekämpfen liess. Der Gush Emunim geht da viel, viel listiger vor. Diese Leute organisieren sich in Zellen und Gruppen und indirekt in anderen Parteien.

    Rabbiner Zwi Yehuda Kook mit seiner Yeshiva Merkasarah-Schule gehört zu den Ideologen der Bewegung. Er ist Mitglied der National-religiösen Partei, der am solidesten etablierten unter den religiösen Parteien. Dies zeigt, dass der Gush Emunim freien Zugang zu dieser Partei hat. Viel mehr arbeitet er freilich ausserparlamentarisch, in den Siedlungen, und in Gruppen, welche schwer erhältliche Schriften verbreiten. Sie werden nur selten übersetzt. Vielleicht übersetzt einmal Os wer Shalom etwas davon und macht sich so verdient, doch die Schriften sind nur für den internen Gebrauch bestimmt. Man kann die Art und Weise, wie der Gush Emunim arbeitet, also mit einem Zellsystem vergleichen.

    Adv. F: Was heisst "Gush Emunim"?

    Bergman: Block der Getreuen. Schon der Name sagt also, dass es sich um Gläubige handelt. Wir haben es folglich eindeutig mit einer religiös-en Gruppe zu tun. Sie denkt interessanterweise in geschichtlichen Phasen, und auf diesem Denken fusst ihre Politik. Für den Gush Emunim befinden wir uns heute in der messianischen Phase, in einer Art Endzeit, die ihre Schatten vorauswirft. Dies heisst konkret, dass manche Regeln ausser Kraft gesetzt und durch andere, messianische Regeln ersetzt werden können. Solch ein messianisches Schema liegt dem Denken und Handeln der Bewegung zugrunde. Aufschlussreicher-weise können der Gush Emunim und nichtreligiöse Juden in der gegenwärtigen Phase aber sehr gut zusammenarbeiten.

    Die Bewegung verfügt also auf eine grosse Ausstrahlungskraft nach aussen und nicht nur nach innen; beispielsweise wirkt er auf religiöse Schulen ein. Für sie ist es ein Ding der Selbstverständlichkeit, dass sie motiviert und einsatzbereit sind und dass sie alles vom Standpunkt der Halacha aus deuten. Zugleich fügen sie sich aber in ein recht breitgestricktes Muster ein. Natürlich kann ich diese äusserst schwer zu fassende Bewegung hier nur grob skizzieren. Doch sind sich sämtliche Spezialisten darüber einig, dass der Block eine der wichtigsten Kräfte im heutigen Israel darstellt.

    Darum ist es von folgenschwerer Bedeutung, wenn er Bestimmungen über den "religiösen Grunderwerb" zugunsten des Judenstaates Israel durchsetzt. Rabbi Zwi Yehuda Koch machte vor den Wahlen des Jahres 1974 einen öffentlichen Ausspruch. Es war der Zeitpunkt, wo sich der Block offiziell konstituierte. Er zitierte Josua 4:24: Damit alle Völker auf Erden erkennen... Dies reicht schon.

    Der Zusammenhang geht aus Josua 4 hervor: Dieses Land gehört vollständig und absolut uns, den Juden. Es darf nicht einmal teilweise an andere abgetreten werden. Es ist ein Erbe, dass unsere Altvorderen uns hinterlassen haben ...Und nun kommt das Schlüsselwort "an unseren Stammvater Abraham" mit Hinweis auf das erste Buch Mose 13:15: Denn all das Land, das du siehst, will ich dir und deinen Nachkommen geben für alle Zeit.

    Es folgen andere Zitate, in denen Gott sein Versprechen bekräftigt. Demnach ist die Landnahme in Palästina religiös gerechtfertigt. Da ist die Folgerung nur logisch: "Unter diesen Umständen ist es ein für alle Male klar und unumstösslich, dass es kein arabisches Territorium und keinen arabischen Boden hier gibt, sondern ausschliesslich Israels Land."

    Man beachte die normative Deutung, die sich auf in der Genesis, dem 2. Buch Moses, geschilderte, vor 4000 Jahren geschehene Ereignisse bezieht. Dieses Argumentationsmuster ist sehr einfach gestrickt. Es ist weder raffinierter noch weniger raffiniert als dasjenige Ahmed Ramis in seinem Buch. "Das ewige Erbe." Was hätte übrigens "arabisches Territorium" in der Sprache der Genesis wohl geheissen?

    Man jongliert hier mit Worten. Es geht nur darum, ein System von Regeln aufzubauen und diese dann auf die gegenwärtige Lage anzupassen. "Das ewige Erbe unserer Ahnen, das andere in ihren Besitz genommen haben und auf dem sie ohne unsere Erlaubnis und in unserer Abwesenheit gebaut haben."

    Man stelle sich vor, welche Frechheit! Man hat ohne Israels Erlaubnis dort gewohnt und gebaut! Ohne die Erlaubnis eines Staates, der erst 1948 ins Leben gerufen wurde. Es war ja ein wenig schwierig, in der Zwischenzeit diese Erlaubnis zu erhalten... Was antwortet man darauf? "Aber unser Bewusstsein war doch stets mit diesem Land verknüpft und aufs heftigste dagegen protestiert, dass es grausam und willkürlich von anderen besetzt wurde."

    Wer waren denn die anderen, die Palästina grausam und willkürlich besetzt haben? Die Kreuzritter? Sprach Rabbi Kook vielleicht von denen? Ich glaube es kaum. Er sagt wohlweislich nicht, die Juden hätten immer dort gewohnt. Hinter seinem Schweigen verbirgt sich die Frage nach der Kontinuität der jüdischen Besiedlung des Landes. Von einer wie grossen Bevölkerung muss man denn ausgehen, um vernünftigerweise von einer Kontinuität in der Bewohnung oder Besiedlung sprechen zu können?

    Ich kann da nur auf einen Kollegen von mir verweisen, einen nun emeritierten Professor von der Hebrew University. Er heisst Safrai und ist auf die Periode des Zweiten Tempels spezialisiert, also auf die Jahrhunderte um die Zeitenwende. Ich war einmal bei ihm daheim und feierte Haluka. Das Gespräch kam auf die "Samariter" (Palästinenser). Er hatte mit ihnen ungünstige Erfahrungen gesammelt. Er hielt sie für schlechte und dumme Menschen. Einige von ihnen waren seine Schüler gewesen. Er war kein Freund der Samariter. Doch er sagte mit Tränen in den Augen: Sie haben etwas, das uns gebricht, denn sie können auf einen fortdauernden Aufenthalt in diesem Land zurückblicken.

    Safrai ist Zionist und Historiker. Denken wir an den berühmten jüdischen Geschichtsforscher Maimonides, der auch der zweite Moses genannt wird. Er liess sich zuerst in Nordafrika nieder, fuhr aber dann weiter und gelangte nach Jerusalem. Dort blieb er aber nicht, sondern kehrte wieder um. Später wurde er Leibarzt des islamischen Herrschers in Kairo. Was wir vom Jerusalem seiner Zeit erfahren, deutet keineswegs auf ein besonders reges jüdisches Leben hin.

    Adv. F: Wann war das?

    Bergman: Um l100. Es besteht kein Zweifel daran, dass die Palästinenser weitaus länger ununterbrochen im Lande leben als die Juden. Man beachte, dass die Juden sagen: "Ihr habt hier ohne unsere Erlaubnis und in unserer Abwesenheit gewohnt und gebaut. Wir haben aber niemals auf das Erbe unserer Väter verzichtet und nie das Band damit zerrissen. Unser Bewusstsein war stets mit mit diesem Lande verknüpft, und wir haben stets dagegen protestiert, dass es grausam und willkürlich von anderen besetzt wurde." Aber diejenigen, die da "protestierten" und deren Bewusstsein "stets mit diesem Lande verknüpft" war, lebten nicht in Palästina!...

    Weiter heisst es: "Dementsprechend haben wir (also die Juden) den Befehl erhalten, das Land zu befreien. Wir werden es niemals aufgeben oder unsere Bande damit zerreissen. Auch in der mündlichen Über-lieferung der Araber und in ihrem Koran steht, dass wir gegen das Ende unserer Tage ins Land unserer Ahnen zurückkehren werden ... Wir haben den Arabern die Oberhoheit über dieses Land keineswegs entrissen, denn sie besassen keine. Vielmehr haben wir unser Land wiederaufgebaut, nachdem die Herrschaft einer fremden Macht geendet hatte, die es zeitweilig mit dem Einverständnis und im Auftrag des Völkerbundes regiert hatte."

    Hier wird also behauptet, die Völker hätten mittels des Völkerbundes das Land innerhalb der biblischen Grenzen dem Judenstaat Israel gegeben. Dies ist natürlich Geschichtsklitterung.

    "Dank ihrer kultur-ellen Aufgeklärtheit anerkannten sie öffentlich die Rechtmässigkeit unserer Oberhoheit über das Land. Die Araber, die im Land geboren sind, anerkennen die unbestreitbare Tatsache gleichfalls, dass wir ihnen niemals irgendwelche Regierungsgewalt weggenommen haben; dies wird ja auch in einem Dokument eingeräumt, das sich in meinem Besitz befindet."

    Wer der Autor dieses Dokuments sein soll, verrät der Gush-Emunim-Mann allerdings nicht. "Es ist allgemein bekannt, dass dass wir die Araber nicht von ihren Wohnstätten im Lande unserer Väter verjagt haben, dem Land unserer Prophezeiungen und Propheten, unseres Königreichs und unserer Könige, dem Sitz unseres heiligen Tempels und dem Brennpunkt unseres Einflusses auf die gesamte Menschheit. Nein, aus eigenem Willen, aufgrund übertriebener Furcht oder selbstverursachter Verwirrung oder einem politischen Plan folgend, um ein verzerrtes Bild zu verbreiten, indem sie "Flüchtlingslager" schufen, um die Sympathien der Welt nah und fern zu erschleichen, flohen sie aus ihren Siedlungen und übergaben sie."

    Dies ist eine der umstrittensten Fragen, denn ganz unbestreitbar gibt es Tonbandaufnahmen, die beweisen, dass man die Araber von ihren Wohnsitzen vertrieb. Sie gingen durchaus nicht freiwillig. Interessant ist hier ein Motiv, das Krister Stendahl mehrfach gestreift hat, im Zusammenhang mit dem, was Ahmed Rami über diese "Verwirrung" schrieb. Es liegt doch etwas Mystisches darin, dass "es geht, wie wir wollen, es ist Gottes Wille, und Gott hat irgendwie eingegriffen und Verwirrung bei den Menschen gestiftet." "Wir andererseits bauen weiterhin auf die schreckeinflössenden Wunder des Herrn."

    Nicht nur während des sogenannten "Befreiungskampfes" von 1947 oder 1948, sondern auch anschliessend ging es ohne die "schreck-einflössenden Wunder des Herrn" nicht ab. In welcher Form sich der Schrecken des Herrn auf der Westbank und im Gazastreifen bei den Palästinensern offenbart, lässt sich unschwer erraten.

    "Er, der von seinem Tempel aus seinem Volke Kraft und Mut verleiht, gesegnet sei der Herr bei der heiligen Arbeit, unsere Nation und unser Heimatland aufzubauen, unsere Torah und unsere moralische Kultur in einem Reich der Gerechtigkeit, um die ewigen Werte wieder zur Geltung zu bringen, die in unserer nationalen Identität verkörpert sind und für die Wiederaufrichtung von Gottes Gegenwart und Israels in Zion."

    Der Text schliesst mit Zitaten aus dem Buch der Psalter. Zunächst Psalm 46:12: Der Herr Zebaoth ist mit uns, der Gott Jakobs ist unser Schutz. Es folgt Psalm 80, Verse 19 und 20: So wollen wir nicht von dir weichen. Lass uns leben, so wollen wir deinen Namen anrufen. Herr, Gott Zebaoth, tröste uns wieder, lass leuchten dein Angesicht.

    Unterzeichnet ist das Ganze wie erwähnt von Rabbi Zwi Yehuda Ha'cohen Kook, dem Sohn des verschiedenen Rabbis Abraham Yitzhak Ha'cohen Kook, des ersten Oberrabbiners im heiligen Lande zu Jerusalem. Publiziert wurde es am 13. 12. 1973 in der israelischen Zeitung Ha'aretz und am 5. 1. 1974 in der Jerusalem Post.

    Adv. F: Sie halten also die von jenem Rabbi vertretene Bewegung, den Gush Emunim, für eine der einflussreichsten Kräfte im modernen Israel? Stimmt das?

    Bergman: Jawohl. Und ich glaube, dass diese Meinung durch die Arbeit Os wer Shaloms gedeckt wird, die sich in erster Linie gegen den Gush Emunim richtet ... In der früheren Koalitionsregierung vor den letzten Wahlen war Druckmann Erziehungsminister. Er gehört dem Gush Emunim an. Letzterer ist keine Partei, wie ich schon gesagt habe. Druckmann gehört zu den sechs oder sieben Ideologen der Bewegung in Israel. Er sass aber als Repräsentant der nationalreligiösen Partei im Parlament.

    Adv. F: Sie haben nun diverse Beispiele für Tendenzen im Staate Israel angeführt, Bibelzitate ergreifend einfach zu interpretieren. Damit wollten Sie die heutige Lage beleuchten. Handelt es sich da um Randerscheinungen in der modernen israelischen Gesellschaft? Huldigen nur extremistische Wirrköpfe diesem Spiel?

    Bergman: Die Gush-Emunim-Bewegung ist alles andere als eine Randerscheinung, sondern eben eine der einflussreichsten Kräfte des Landes. Sie wirken ja auch auf der weltlichen Ebene. Wie bereits von mir hervorgehoben, hat man es hier mit einer Verbindung verschieden-er Kräfte zu tun. Einerseits liegt eine bestimmte, religiös geprägte Sicht der nahen Zukunft vor: Man erwartet das messianische Zeitalter.

    Dies heisst nicht unbedingt, dass man auf einen fleischgewordenen Messias wartet, sondern vielleicht einfach, dass man einer messian-ischen, von Transzendenz erfüllten Zeit entgegengeht. Dies ist mehr, als man mit irdischen Mitteln bewirken kann, und man muss auch feststellen, dass solche messianischen Zeitpläne und Erwartungs-haltungen oft in eine kriegerische Zeit fallen. Eine sehr kriegerische Zeit, eine Zeit der Waffen und des Kampfs. Gog und Magog usw. spielen eine wichtige Rolle, also Vorstellungen aus der Apokalypse.

    Als apokalyptisch kann man die Anschauung bezeichnen, dass die letzte Zeit naht und dass sie von besonders intensiver Tätigkeit auf allen Gebieten gekennzeichnet ist. Alle Proportionen wachsen. Das Weisse wird weisser, das Schwarze schwärzer. Die Dualitäten, die Spannung, der Widerstand und damit die Dämonisierung nehmen unter dieser Perspektive zu. Das Modell des Gush Emunim ist nur einen oder zwei Schritte vom wahrhaft Militanten entfernt. Diese eins oder zwei Schritte kann er jederzeit zurücklegen.

    Dann vollendet sich das Kommende. Dafür gibt es eine Reihe von Ausdrücken, und der Gush Emunim kennt teils leicht divergierende Muster, die mit der Gestalt des Messias Ben Yosef und derjenigen des Messias Ben Davido zusammenhängen. Was ich festhalten möchte, ist folgendes: Indem man sein Leben nach Schemata einrichtet, verschafft man sich eine Sonderstellung in der Geschichte und kann diese auf ganz bestimmte Weise beeinflussen. Man prägt die Endzeit mit. All diese Voraussetzungen lassen die Amalek- und Heremzitate in noch grellerem Lichte erscheinen.

    Adv. F: Werfen wir nun einen Blick auf die Bibelzitate, die in Ramis Programmen und seinem Buch vorkommen. Ich nehme an, dass Sie diese Stellen besonders studiert haben. Nun meine Frage: Sind diese Zitate für den Zusammenhang, in welchem sie stehen, repräsentativ, oder sind sie aus dem Zusammenhang gerissen, so dass ihre Aussage verzerrt ist?

    Bergman: Ich würde sagen, es liegt hier ein repräsentatives Beispiel für den Umgang mit Bibelzitaten vor. Ahmed Ramis Auswahl unterscheidet sich gar nicht so sehr von Schlüsselstellen, die beispiels-weise von dem Gush Emunim mit Vorliebe zitiert werden. Ich glaube nicht, dass er sie verzerrend aus dem Zusammenhang gerissen hat. Man kann natürlich einwenden, dass er keine wirkliche Exegese vornimmt. Aber das tun auch die militanten Rabbiner in diesem Zusammenhang nicht.

    Aus diesem Grund habe ich ein so langes Stück aus dem Text des Rabbi Zwi Kook vorgelesen. Er reiht Stellen aneinander... Er unternimmt keine Exegese. Ich glaube auch nicht, dass man das verlangen kann. In einer Streitschrift oder gepfefferten Polemik ist man nicht dazu verpflichtet. Die Wirkung der Worte ist ungefähr die gleiche wie bei jenen Gruppen in Israel, von denen ich bereits gesprochen habe.

    Wir sollten uns auch daran erinnern, dass es heute eine Bewegung gibt, die sich Tushova nennt, die Erweckungsbewegung. Grosse Gruppen von unreligiösen Juden in Israel bekehren sich und werden unbedingt bibeltreu. Sie gehen bei oft noch sehr jungen Rabbinern in die Lehre, und sie haben von ihrer Ausbildung und ihrem früheren Lebensstil her einer solchen einseitigen Auslegung nichts entgegenzusetzen. Darüber gibt es viele Studien.

    Janet Aviad hat beispielsweise an der Hebräischen Universität Jerusalem eine gute Studie über die Tushova verfasst. Der Ausdruck kommt vom Verbum "shov", "umkehren". Im vorliegenden Falle kehren die Abtrünnigen ins Mutterhaus zurück, zu ihrem authentischen jüdischen Hintergrund, zu ihren Wurzeln.

    Es besteht nicht der leiseste Zweifel daran, dass die mit all dem Gesagten zusammenhängenden Probleme mit dem zusammenhängen, was sie heute auf der Westbank tut und was unter den Palästinensern so viele Opfer fordert.

    Was tust du, wenn du schwach bist, und was tust du, wenn du stark bist? Diese beiden Fragen können auch auf das Judentum bezogen werden. Es gab Zeitabschnitte, wo die Juden sehr schwach waren. Damals bestand ihre einzige Möglichkeit, sich zu rächen, darin, dass sie sich eine fiktive Welt ausdachten, in der ihre Unterdrücker dämonisiert wurden und man das ganze Register der Mythen spielen liess, weil man keine Macht und keine Waffen hatte. Dies spiegelt sich an vielen Stellen des Talmud wieder, die man natürlich mit den Umständen erklären kann, unter denen die Juden während verschiedener Perioden lebten. Da galt es hervorzuheben, was es hiess, Gottes eigenes Volk zu sein. Wenn man klein ist, so gefährden solche Ideen niemanden.

    Wir alle kennen die Geschichte von David und Goliath. David konnte nur überleben, indem er den Bund einhielt, dem Glauben gegenüber loyal blieb und alle Mitzwot, Gebote und Verbote, streng beachtete. Und allmählich wollte David mehr als nur überleben.

    Doch was tut man, wenn man stark wird? Was tut ein starkes auserwähltes Volk? Da ist die Lage für die anderen schon heikler. Wie verhält man sich in einer Lage, wo man, anders als früher im Prager Ghetto, Waffen hat? Damals, im Ghetto, war man waffenlos. Heute ist man schwerbewaffnet. Was tut man mit der Religion, wenn man stark ist? Sind heutzutage nicht die Palästinenser die Schwachen?

    Adv. F: Wir haben uns über das Spannungsverhältnis zwischen Politik und Religion unterhalten. Ist es hinsichtlich der drei grossen mono-theistischen Religionen, und insbesondere hinsichtlich des Judentums, möglich, eine klare Trennung zwischen Glaubensauffassungen einer-seits und politischer Ideologie andererseits vorzunehmen?

    Bergman: Ich gehe da mit Krister Stendahl einig, der zuvor gesagt hat, die klare Scheidung von Religion und Politik sei grossenteils eine Folge der Säkularisierung im Westen. Etwas, das für den Westen typisch, für den Nahen Osten aber gleichermassen fremd ist.

    Adv. F: Gilt dies auch für das Judentum?

    Bergman: Ja. Aber hier müssen wir einen Schritt weitergehen und uns der Frage zuwenden, wie der Judenstaat entstanden ist und wie er sich zusammensetzt. Im Nahen Osten ist das Verhältnis zwischen Religion und Politik für einen Muslim, einen Juden und einen orientalischen Christen im grossen und ganzen dasselbe. Das Leben unterliegt einer geschlossenen Weltanschauung, und da berührt die Religion Justiz und Wirtschaft fast ebenso stark wie die tägliche Verrichtung der Gebete oder den Gang zu Moschee, Synagoge oder Kirche. Doch worauf ich hinauswill, ist folgendes: Was den Zionismus anbelangt, so ist dieser ganz offensichtlich eine nationale Bewegung, entsprechend anderen Nationalismen wie dem deutschen, dem französischen, dem russischen usw.

    In den Augen radikaler deutscher Nationalisten war ein Jude kein Deutscher und konnte gar kein solcher sein. Zu einer solchen Epoche wuchs der Zionismus heran. Daraus ergibt sich, dass der Zionismus in seiner Ausgangslage sicherlich mit westlichen Massstäben beurteilt werden kann und auch soll.

    In den dreissiger Jahren wurde der Weltzionismus die einzige jüdische Alternative. Versetzen wir uns ins heutige Israel, so ist es klar, dass, wenn der Zionismus ein repräsentatives System sein soll und gleichzeitig das orientalische Lebensmuster durchschlägt, eine Trenn-linie zwischen Religion und Politik nicht zu ziehen ist. Doch was die westlich geschulten Juden betrifft, so kann man selbstredend nicht viel von ihrem Handeln begreifen, wenn man sie nicht nach den Massstäben jener Gesellschaften und Schichten misst, aus denen sie stammen.

    Es ist eine offenkundige Tatsache, dass eines der grossen Probleme - das teilweise parallel zu der Kluft zwischen Aschkenasen und Sepharden, verläuft - die Spannungen in der israelischen Gesellschaft sind, welche sich aus der verschiedenartigen Sicht der Religion und der verschiedenartigen Definition des Begriffs Jude ergeben.

    Adv. F: Wenn ich zusammenfassen darf: Sie vertreten den Standpunkt, dass man bei der Betrachtung des Zionismus im Staate Israel nicht zwischen Religion und Politik trennen kann?

    Bergman: Aufgrund der heute obwaltenden Bedingungen ist die Tendenz ein Erstarken des Fundamentalismus. Diese Tendenz kann in Israel, in der islamischen Welt und auch in Teilen der christlichen Welt beobachtet werden. Da ist es natürlich noch viel unmöglicher, eine saubere Scheidelinie ziehen zu wollen und zu sagen, das ist keine Religion, das muss also Politik sein.

    Adv. Folke: Nun möchte ich Sie zu einem anderen Thema befragen. Es geht um die Religionskritik. Was für ein Wissenschaftszweig ist das?

    Bergman: Als wissenschaftlicher Zweig kennt die Religionskritik keine Grenzen. Hier ein Modell aufstellen zu wollen, demzufolge die aufge-stellten Theorien mit den Überzeugungen eines Gläubigen überein-stimmen müssten, wäre ganz unsinnig. Religionskritik kann, und das ist der entscheidende Punkt, von innen oder von aussen kommen. Aus religionskritischer Perspektive kann man nicht sagen, das "Recht zur Deutung" sei dem Anhänger des betreffenden Glaubens vorbehalten. Letzterer hat nicht einmal den Vortritt. Die Religionskritik arbeitet mit historischen, soziologischen, philosophischen usw. Methoden, aber eben stets kritisch.

    Als Ausdrucksform einer solchen Kritik muss man auch Ramis Buch auffassen... Ich sehe keinen Unterschied zwischen den beanstandeten Radioprogrammen und dem Buch.

    Wenn man dieses Buch als Religionskritik auffasst und sagt, ihm zufolge werde Israel heutzutage in bedenklichem Masse von einer simplen Anwendung biblischer Rezepte auf die Gegenwart geprägt, welche Waffen heiligten und selbst die Tötung von Zivilisten bejahe, dann hat man ja allen Grund, solche Religionskritik zu betreiben.

    Ob sie gerade in dieser Form geschehen muss, darüber kann man ja diskutieren. Früher gab es den Gotteslästerungsparagraphen. Wenn Sie mich wie Krister Stendahl fragen würden, ist es gut, dass man in Schweden keinen solchen Paragraphen mehr hat, wie er in Norwegen oder England nur zum Schutz der christlichen Religion weiterhin existiert, so würde ich sagen, ja. Sonst wird alles so kompliziert.

    Ein Prozess wie der hiesige bestärkt mich in meiner Auffassung, dass es nicht die Aufgabe der Justiz ist, Religionskritik und Schmähung einer Religion sowie mehr oder weniger literarische Werke und ihren Inhalt zu ahnden. In einer freien Gesellschaft muss man diese Dinge anders bewältigen können.

    Adv. F: Ich möchte nun Ihre Meinung zu einer Äusserung erfahren, die in einer der Radiosendungen fiel. In der Anzeige vom 20. März 1989, in der es um eine Reihe verschiedener Äusserungen aus verschiedenen Sendungen ging, wird unter Punkt 6 die in den beanstandeten Texten genannte Hypothese erwähnt, es gebe einen Zusammenhang zwischen der jüdischen Religion auf der einen und weltlichen Strömungen wie der Psychoanalyse und dem Marxismus auf der anderen Seite. Eine solche Hypothese kann richtig oder falsch sein. Meine Frage an Sie lautet: Ist es eine vernünftige Forschungsaufgabe, den Zusammenhang zwischen der Religion und weltlichen Strömungen zu untersuchen? Gibt es heutzutage solche Untersuchungen?

    Bergman: Aber gewiss, in allerhöchstem Grade. Das neueste Forschungsgebiet, das wir an der theologischen Fakultät haben, ist die sogenannte Religionsverhaltenswissenschaft. Da sind Fächer wie z.B. Psychologie, Soziologie und Pädagogik vertreten.

    Adv. F: Religionsverhaltenswissenschaft?

    Bergman: Zugegebenermassen ein schwerfälliges Wort, das aber doch klar zeigt, worum es geht, nämlich um die Beziehungen zwischen Gesellschaft, Gruppen- oder Individualpsychologie einerseits und der Religion andererseits.

    Adv. F: Man stellt sich also die wissenschaftliche Aufgabe, solche Zusammenhänge zu erhellen?

    Bergman: Richtig. Die Judenbibel (das Alte Testament), der Talmud und die "christliche Botschaft". - Man muss Zivilisten töten! Du sollst die besten töten!

    Adv. F: Gibt es heute im Christentum Gruppen, die sich auch eine so direkte Deutung der Bibeltexte zu eigen machen wie Rami?

    Bergman: Bei bibeltreuen oder fundamentalistischen christlichen Gruppen ist es ja üblich, Bibelstellen direkt auf das Alltagsleben zu beziehen, so wie es Rami tut, wie es der Gush Emunim tut und wie die jüngere Rabbinergeneration die betreffenden Stellen heute interpretiert. Ich will nicht auf Einzelheiten eingehen, doch die "christliche Botschaft in Jerusalem" und einige ihr angeschlossene Strömungen sind meiner Ansicht nach die deutlichste Form christlicher Unterstützung für eine harte israelische Palästinapolitik.

    Was ist diese "christliche Botschaft"? Als man Jerusalem 1977 zur "ewigen Hauptstadt Israels" erklärte, meinten prozionistische, protestantisch-fundamentalistische Gruppen in verschiedenen Ländern, ihre Regierungen sollten offiziell positiv darauf reagieren und ihre Botschaften nach Jerusalem verlegen. Nur zwei Staaten haben dies allerdings auch getan. Da organisierten sich verschiedene christliche Gruppen - ausserhalb Amerikas besonders in Schweden, wo beispielsweise die Brüder Sjöberg behaupteten, sie repräsentierten dreieinhalb Millionen schwedische Christen, was eine gelinde gesagt zweifelhafte Ausssage war - und gaben zu, dass sie sich nun politisch und nicht religiös engagierten.

    Teddy Kollek, der jüdische Bürgermeister Jerusalems, empfing sie und erklärte: "Ihr seid wahre Christen", womit er ihr Engagement rein religiös deutete. Dies ist nur ein Beispiel unter vielen dafür, wie schwer Politik und Religion in vielen Fällen zu unterscheiden sind. Es gibt eben Gruppierungen, die eine einfache Anwendung von Bibelworten propagieren und Israel mit Schlagworten wie "Wer Israel segnet, ist gesegnet; wer Israel verflucht, ist verflucht" verteidigen...

    Adv. F: Sie haben eine Broschüre erwähnt, die vom israelischen Verteidigungsministerium herausgegeben worden ist. Darin stand ein Aufsatz des Armeegenerals Avidan. Sie lasen daraus eine Passage vor, in der Bezug auf die Tosafoth genommen wird, eine Ergänzung zum babylonischen Talmud. Darin sagt Avidan: "Es erweist sich, dass israelische Truppen, die den Feind angreifen, laut den Geboten der Tosafoth und dem halachischen Gesetz auch Zivilisten umbringen müssen, die sich unterwerfen oder, in anderen Worten, sich anständig verhalten." Die Zitate "Du sollst die besten unter den Heiden töten" und "keiner soll sich darauf verlassen, dass ein Heide unseren Truppen keinen Schaden zufügt" sind bereits gefallen. Das erste Zitat führt Avidan auch an. Woher kommt es denn eigentlich?

    Bergman: Aus der Mishna. Diese entstand im 3. nachchristlichen Jahrhundert und ist als Kern oder Bestandteil in den Talmud einge-gangen. Im Talmud figuriert eine von einem anderen Rabbi zitierte Variante, "Du sollst die besten unter den Ägyptern töten". Im Aus-gangstext steht "gojim" oder "Heiden":

    Adv. F: Haben die christlichen Gruppierungen wie die "christliche Botschaft" usw. eine bestimmte Meinung über Israels Grenzen, um nur ein Beispiel zu nennen?

    Bergman: Ja; die allgemeine Einstellung, die ich bei jenen Leuten vorgefunden habe, ist die: "Wir sind Israels Freunde, und was Israel will und beschliesst, das wollen wir auch." Ich habe es nie erlebt, dass diese Kreise sich von Grossisrael oder der maximalistischen Vorstellung eines Israel vom Nil bis zum Euphrat distanziert haben.

    Ankläger Per-Håkan Bondestam: Ja so. Ich gehe nun direkt auf einen Begriff ein, den Sie in Ihrer Darstellung verwendet haben, nämlich "Mitzwa". Sie sagten, es gebe 613 "Mitzwot". Was bedeuten diese konkret? Worum geht es da? Worin liegt die Aussage der Mitzwot?

    Bergman: Es sind dies Gebote und Verbote von Gott. Wir haben den Dekalog, die Tafeln, die gemäss der ersten Version von Gottes eigener Hand, gemäss der zweiten von Moses nach Diktat beschriftet worden sind. Doch auch in der Torah, also den fünf Büchern Mose, die den Kern der gesamten jüdischen Lebensweise bilden, finden sich eine Anzahl Gebote und Verbote. Von den 635 Mitzwot sind 365 Verbote, die anderen Gebote.

    Damit steht das im vergangenen mehrfach genannte Wort "halachisch" im Zusammenhang. Man kann sagen, die halachische Tradition sei ein Ringen mit dem Mitzwot, ein Kampf um ihre Deutung. Später kamen noch andere Gebote und Verbote dazu, und da können die Rabbiner und die klugen Köpfe darüber verweisen, ob diese auf die selbe Stufe gestellt werden dürfen wie die Mitzwot. Für das orthodoxe Judentum stellen diese Gebote und Verbote einen klar umrissenen Kodex dar.

    Ankläger B: Was ist aber der Geist der Mitzwot, was sagen sie aus? Wenn sie religiöse Gebote und Verbote sind, worum dreht es sich da in erster Linie?

    Bergman: Um sehr verschiedene Dinge. Manche stehen in der Verlängerung des Dekalogs, die zehn Gebote im zweiten Buch Mose 20, werden aber im fünften Mosesbuch wiederholt. Doch - und hier beginnt es problematisch zu werden - gilt die Mitzwa auch für das Verhältnis zu den Gojim oder Nichtjuden, den "Fremden" im Lande?...

    Ankläger B: Ja, aber was mich verwundert, ist die Broschüre jenes Oberrabbiners, welche "Die Nachwirkungen des Jom-Kippur-Krieges. Einige Überlegungen, die Halacha und die Forschung" betitelt ist und dann etwas darüber enthält, dass man Zivilisten töten soll.

    Bergman: Ja.

    Ankläger B: Aber mir scheint, der Geist hinsichtlich der Mitzwa liege weit weg von...

    Bergman: Mitzwa ist ein Singular; die Mehrzahl lautet "Mitzwot". Die Frage ist folgende: Ist dies eine konkrete Mitzwa? Ich bin der Ansicht, dass die meisten Mitzwot ihrem Inhalt nach positiv sind; dies gilt auch für die Verbote. Sie beziehen sich jedoch nicht bloss auf die Ver-hältnisse innerhalb der Familie, innerhalb der Stämme usw., sondern auch auf das Verhältnis zu den "Fremden" im Lande. Hier schwingt der Amalek-Begriff mit. Darf man die "Fremden", d.h. Nichtjuden, im Lande vertreiben?

    Und wie deutet man den Begriff "Fremde im Land" ("Gojim" ist der hebräische Ausdruck), wenn es dann über Amalek heisst: Du sollst sie ausmerzen! Hier haben wir also eine Formulierung, die ihrer Kategorie nach eine Mitzwa ist... Wenn sie nun so gedeutet wird, dass die Fremdlinge (Palästinenser) im Lande "feindliche Fremdlinge" sind, also "Amalek", dann wird die Halacha interessant. Wie sollen diese Fremdlinge nun behandelt werden? Ich behaupte, das Gebot wird heute als Mitzwah gedeutet. Sie hat genau die gleiche Gültigkeit und muss genau gleich befolgt werden wie eine Reihe der ebenfalls existierenden positiven Mitzwot. Dies alles nach halachischen Überlegungen, nach der Auslegung der Rabbiner und anderer dazu Befugter.

    Es ist schwerwiegend, dass die Sache mit Amalek unter den Mitzwot figuriert, da Amalek die Widersacher Israels symbolisiert, und von vielen, welche Waffen in der Hand haben und den Palästinensern direkt gegenüberstehen, werden diese den Amalekitern gleichgesetzt. Wie direkt diese Mitzwa gedeutet wird, haben wir anhand des Avidan-Artikels gesehen. Es gibt zahlreiche andere halachische Auslegungen, aber das Problem ist, dass die betreffenden Stellen in grossem Umfang und gerade in den Fällen, wo die Folgen am verheerendsten sein können, als eine Mitzwa ausgelegt werden, und aus dem israelischen Armeehauptquartier tönt es seitens des Halacha-Deuters, man habe nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, Zivilisten umzubringen!

    Ankläger B: Ich gehe davon aus, dass der Laie, der sich nicht besonders mit diesen Begriffen auseinandergesetzt hat, also auch der typische Hörer von Radio Islam, nicht weiss, was eine Mitzwa ist. Sollte man da bei der Definition des Begriffs nicht das Hauptgewicht darauf legen, dass es sich hier um Gebote und Verbote handelt, natürlich mit biblischem Hintergrund, dem Hintergrund des Alten Testaments, die hauptsächlich Wohltaten gegenüber anderen Menschen vorschreiben? Liegt nicht diese Tradition im Grunde dahinter?

    Bergman: Doch. Wenn ich ein Lehrbuch für die Schule schreibe, wenn ich an der Universität Uppsala unterweise, so stimme ich dem natürlich zu. Schreibe ich dagegen eine Kampfschrift, betätige ich mich als Polemiker, dann bin ich nicht dazu verpflichtet und habe auch gar keine Zeit, ausführliche Informationen über die Mitzwot zu liefern. Die Frage stellt sich anders: missbrauche ich da den Wortlaut der Texte? Gilt diese oder jene Amalek-Stelle nicht als Mitzwa, wird sie von Rabbinern im heutigen Israel nicht halachisch so gedeutet?

    Ankläger B: Dabei können wir es wohl belassen. Ich glaube, wir haben es alle kapiert. Nun möchte ich auf die Art und Weise zu sprechen kommen, wie die Mitzwa in Radio Islam behandelt wird. Es geht um Aktenbeilage 43 S. 10, eine Klage, die vom 31. 5. 1989 datiert. Ich lese sie teilweise vor. Ich gehe davon aus, dass Sie dieses Material gelesen haben. Darauf verlassen wir uns.

    "Es gilt also als Mitzwa, wenn ein Jude einen Goj, einen Nichtjuden, umbringt." Und dann kommt dies, was während des Weihnachtsfestes geschah, als ein amerikanisches Passagierflugzeug gesprengt wurde. Es wird mit dem Terroranschlag auf die City of Poros, ein griechisches Touristenschiff, verglichen. Ich will nun gar nicht die Frage aufwerfen, ob hinter dem Absturz des Passagierflugzeugs eine jüdische Ver-schwörung liegen mag; das ist nicht unser Thema...

    In der zitierten Aktenbeilage steht, etwas unterhalb der Mitte: "Wenige Eingeweihte werden in Unsicherheit darüber schweben, wer an dem scheusslichen Terroranschlag auf das griechische Fahrzeug schuld war.

    Manche fragen sich, ob diese Tat auch auf ein zentrales jüdisches Ritual zurückging und eine sogenannte Mitzwa war. Was bedeutet dieses Wort? Eine Mitzwa ist eine Tat zu Ehren des Judengottes Jahwe. Für einen Juden ist die Tötung eines Goj, eines Nichtjuden, eine solche Mitzwa. Radio Islam hat ausführlich aufgezeigt, wie die Judenbibel, die Torah, von Aufforderungen zu einer Mitzwa strotzt. Dasselbe gilt für die heilige Judenschrift Talmud. Der uneingeweihte Leser wird dies für unglaublich, ja unfassbar halten. Er meint vielleicht, die Mitzwa sei eine Erscheinung überwundener Zeiten."

    Weiter steht im Text, diese Tradition habe auch heute noch Gültigkeit. Wenden wir die Seite. Da heisst es: "Eine der grössten Gestalten des Judentums, Maimonides, sagt, auch der gute Goj müsse getötet werden", usw. Etwas weiter unten steht: "Jüdische Soldaten weisen ständig auf die Mitzwa hin, wenn sie Palästinenser massakrieren", und für den strenggläubigen Juden sei es eine besonders grosse Mitzwa, ein Kind zu töten, da er damit einen potentiellen künftigen Widersacher aus dem Wege räume.

    Dies ist also der Geist der betreffenden Aussagen. Ich habe den Text mehrfach gelesen und versucht, ob man etwas anderes hineininter-pretieren kann, doch kam ich immer zum gleichen Schluss: "Ja so, die Juden haben etwas, einen bestimmten Begriff, der Mitzwa heisst, in der jüdischen Religion eine zentrale Rolle spielt und bedeutet, dass es etwas Gutes ist, einen Nichtjuden umzubringen."...

    Es wird aber gar keine Beschreibung dessen gegeben, was eine Mitzwa bedeutet, sondern man greift das Wort einfach auf und vermittelt dem Hörer den Eindruck, die Juden seien in mancher Hinsicht ein grausames Volk. Dafür gibt es verschiedene Beispiele. Kann hier nicht eine arglistige Irreführung vorliegen? Diese Frage hätte ich gerne beantwortet.

    Bergman: Es ist ganz offenbar, dass die Juden eine Mitzwa haben, die darauf hinausläuft, dass ein Jude einen Nichtjuden töten darf, und dass diese Mitzwa heute in recht grossem Umfang halachisch gerechtfertigt wird.

    Ankläger B: Aber dies ist doch nur ein kleiner Teil des Mitzwa-Begriffs, oder?

    Bergman: Stimmt, aber die Frage lautet: Ist es wirklich Radio Islams Aufgabe, eingehend darüber zu informieren, was eine Mitzwa ist? Der Begriff wurde eingeführt, und er existiert wirklich. Gerade weil das betreffende Gebot eine Mitzwa ist, wird es so fleissig angewandt! Es heisst nicht einfach unverbindlich, man habe das Recht, dies und jenes zu tun, sondern es ist eine Mitzwa, dass ein Jude einen Nichtjuden töten darf, und diesem Gebot wird nachgelebt. Dies ist in unserem Zusammenhang das Entscheidende.

    Statistisch gesehen ist dies sicher nicht typisch für die 613 Mitzwot, aber für die Palästinenser ist es die zentrale Mitzwa, weil es sie trifft. Ich halte daran fest, das ein Lokalradio nicht in erster Linie verpflichtet ist, Informationen zu verbreiten. Es gibt zahlreiche andere Programme, welche der Parteilichkeit beschuldigt werden könnten, wenn man davon ausgeht, ein Lokalradio müsse sachlich und unparteiisch informieren.

    Ankläger B: Ja... darauf wollte ich eigentlich nicht hinaus. Mir geht es um folgendes: Die Juden werden in den beanstandeten Texten ja auch beschuldigt, hinter gewissen Untaten zu stehen. Es wird also negativ über sie berichtet, so wie ich das auffasse. Zuerst wird dem Hörer also der Mitzwa-Begriff vorgeworfen, und es wird insinuiert, er bedeute einfach die Tötung eines Nichtjuden. Diese Darstellung kann man ja so auffassen, dass damit eine Art allgemeine Missachtung der Juden geschürt werden soll. Was sagen Sie dazu?

    Bergman: Wirklich ernsthaft wäre es, wenn stattdessen behauptet würde, dieser Typ von Texten, also jene, bei denen es um "Amalek" geht, seien zwar eine Mitzwa, würden aber im heutigen Israel von den Rabbinern nicht als solche betrachtet. Das wäre eine irreführende Aussage. Wie diese Rabbinerlehre von den Militärs als praktischer Befehl ausgelegt wird, haben wir schon gesehen. Für die Palästinenser hat das schicksalsschwere Folgen.

    Ankläger B: Ich glaube, wir kommen nicht mehr weiter. Sie haben sicher zur Kenntnis genommen, was Maimonides da in den Mund gelegt wird. Er soll gesagt haben: "Auch der gute Goj muss getötet werden." Ist das ein richtiges Zitat?

    Bergman: Maimonides wird oft "der zweite Moses" genannt. Es ist durchaus angemessen, ihn hier zu erwähnen. Es gibt noch eine Variante: "Die besten unter den Heiden sollen getötet werden", oder "die besten unter den Ägyptern sollen getötet werden".

    Ankläger B: Hat er das gesagt?

    Bergman: Ja.

    Ankläger B: Dass auch der gute Goj getötet werden muss?

    Bergman: Ja. Die besten unter den Nichtjuden müssen getötet werden!

    Ankläger B: Und in welchem Zusammenhang?

    Bergman: In der Mishna der Torah. In einer seiner bedeutendsten Schriften, wo er die Torah durchnimmt. "Mishna" bedeutet "Wieder-holung". Es ist die autoritativste Deutung der Torah. In der Torah steht, wie erwähnt, dass Amalek auszurotten ist. Die eben von mir erwähnten Zitate hat Maimonides in seinem Torah-Kommentar hinzugefügt. Sie fussen auf derselben halachischen Denkweise. Die Torah und ihre Auslegung durch Maimonides atmen denselben Geist.

    Ankläger B: Ist das kein Ausdruck des Übelwillens gegenüber den Juden?

    Bergman: Es gibt viele Deutungen darüber, was mit den Kindern der Ägypter und den Kindern Israels vor dem Auszug geschah. Die Ägypterkinder wurden tatsächlich getötet, und zwar die Erstgeboren-en. Darüber gibt es allerlei Interpretationen. Warum geschah das? Warum tötete man nicht die erwachsenen Ägypter, welche die Kinder Israels dann verfolgten?

    Ich könnte mir vorstellen, das man hier den Brückenschlag zur Gegenwart vollziehen kann. Hier wird also zum Ausdruck gebracht: Man soll die Kinder töten!

    Ankläger B: Aber wir leben doch in der Gegenwart, und man kann doch nicht einfach all das auf unsere Zeit übertragen und behaupten, die Juden hielten es für etwas sehr Gutes, ein Kind umzubringen? Diese Schlussfolgerung ist doch nicht zulässig! Oder?

    Bergman: Na ja. Wenn ich mir diese einfachen, nicht exegetischen Bibeldeutungen betrachte, so steht doch immer das ewige Wort dahinter. Es ist Gottes Wort für alle Zeiten. Es ist also heute genau gleich gültig wie vor 2'000 Jahren und muss genau gleich strikt in die Tat umgesetzt werden.

    Ankläger B: Ja, es muss gedeutet und in die Tat umgesetzt werden, aber ich denke, man muss das, was in den Mosesbüchern steht, doch nicht absolut wörtlich nehmen, denn da stehen ja grauenhafte Sachen... Die Geschichte mit dem Rabbiner haben Sie ja bereits erwähnt, doch es gibt ja noch eine Handvoll anderer Beispiele...

    Bergman: Leider nicht bloss eine Handvoll...

    Ankläger B:...wo man mit der Bibel eine ganz bestimmte Handlung rechtfertigt. Aber man kann doch nicht das gesamte jüdische Volk so abstempeln, wie es Rami tut! Er spricht nicht von irgendeinem einzelnen Oberrabbiner, sondern vom jüdischen Volke in seiner Gesamtheit. Manchmal bedient er sich des Ausdrucks "Zionisten" und meint damit auch die Zionisten, aber manchmal meint er damit etwas anderes. Er will sagen, dass die Juden allgemein so grausam sind. Das ist doch eine Verallgemeinerung. Habe ich da nicht recht?

    Bergman: Hierzu ist zu bemerken, dass die Leute vom Gush Emunim - deren Ansichten wir anhand eines längeren Auszugs aus Rabbi Zwi Jehuda Kooks Erklärung über das Recht aufs Land kennengelernt haben - den Anspruch zu erheben, die besten zu sein. Sie sind die besten Deuter, die wahrhaftigsten Deuter, und ihre Deutung ist die authentischste.

    Ankläger B: Ja, aber man muss doch einmal näher hinsehen, was das für Leute sind und wen sie vertreten. Die Gush-Emunim-Leute sind ja keine etablierte Partei, welche in Israel die Macht ausübt. Sie haben ja selbst darauf hingewiesen, dass der Oberrabbiner, den Sie zitierten, mit seinen Aussagen enormes Aufsehen erregt und einen Sturm von Protesten ausgelöst hat, und zwar auch von massgeblicher Seite. Man kann ja solche einzelnen Vorkommnisse herausgreifen, aber man kann sie doch nicht dazu benutzen, um das jüdische Volk insgesamt zu charakterisieren. Was sagen Sie dazu? Soll man das schwedische Volk danach beschreiben, welche Politik die regierende Partei betreibt, oder andere, in der Gesellschaft verankerte Parteien, oder soll man als Ausgangspunkt für die Beschreibung des schwedischen Volkes eine Splitterpartei wie die Maoisten nehmen? Sie verstehen mich wohl.

    Bergman: Es wäre eine grobe Ungerechtigkeit gegenüber dem Gush Emunim, ihn mit den schwedischen Maoisten auf eine Stufe zu stellen. Meinungsumfragen haben nämlich ergeben, dass 24 bis 37% der Israelis mit seinen Zielen sympathisieren. Es geht also nicht um irgendwelche zahlenmässig unbedeutende Extremisten. Der Gush Emunim ist, wie erwähnt, keine Partei, und zwar mit guten Gründen nicht. Wäre dies der Fall, so wäre sein Einfluss beschränkter. Mehrere seiner führenden Denker sitzen im Vorstand der Nationalreligiösen Partei, z. B. eben Zwi Yehuda Kook. Ein Vergleich mit den schwed-ischen Maoisten wäre ganz abwegig.

    Wer ihn dennoch zieht, spekuliert auf die Unwissenheit der Allgemeinheit über den Gush Emunim und die tatsächlichen Zustände im heutigen Israel. Tatsache ist, dass die zunehmende Gewaltbereit-schaft und die zunehmende Tendenz, die erwähnten Bibelstellen wörtlich zu deuten, sehr alarmierend sind, und die Folgen müssen ja die Palästinenser am eigenen Leibe erfahren.

    Ankläger B: Unsere lange Diskussion über den Gush Emunim wäre ja bedeutend relevanter, wenn Ahmed Rami das Thema selbst angeschnitten hätte. Doch dies hat er ja nicht getan - oder doch?

    Bergman: Nein, denn seine Methode ist von der meinigen ja grundverschieden. Ich versuche vielleicht besser als er, die Veranker-ung unterschiedlicher Gruppen in der israelischen Gesellschaft aufzu-zeigen. Es gehört zur Natur einer scharfen Polemik, dass man nicht analytisch vorgeht und sagt, hier haben wir Gruppe A und da Gruppe B und dort Gruppe C...

    Ankläger B: Ja, aber wenn man - wie Ahmed Rami sagt - die heutige Politik Israels kritisieren will, dann ist es wohl angebracht - soll die Kritik seriös sein - dass man beispielsweise diese Dinge aufgreift. Es gibt seltsame oder bemerkenswerte Bewegungen wie den Gush Emunim, und darüber sollte man schon diskutieren. Eine solche Debatte ist vollkommen zulässig. Deswegen ist Rami auch nie angeklagt worden. Solche Sachen darf man frei erörtern. Worum es hier geht, ist sein Versuch, die Juden und das Judentum ständig abzustempeln. Die Juden haben die und die Eigenschaften, das Judentum ist so und so. Darin liegt der enorme Unterschied zu den Dingen, die Sie vorhin gesagt haben.

    (Anmerkung Ramis: Was Ankläger Bondestam hier von sich gibt, sind reine Lügen. Ich habe nie gesagt, die Juden hätten "die und die Eigenschaften". Er zitiert auch gar keine entsprechende Passage. Hingegen kritisiere ich das Judentum als Religion und Ideologie, und ich kritisiere das, was ideologisch und religiös "typisch jüdisch" ist.)

    Bergman: Etwas, das jedenfalls äusserst häufig erwähnt wird, ist die Besiedlungspolitik. Ahmed Rami hat sich diesem Thema oft zuge-wandt, und es besteht keine Zweifel darüber, dass jene Kräfte, die hinter der expansiven, der Genfer Konvention völlig widersprechenden Siedlungspolitik stehen, der Gush Emunim und verwandte Gruppen sind. Durch diese Besiedlungspolitik werden Tatsachen geschaffen, welche die Regierung dann zur Kenntnis nimmt. Es gibt nicht ein einziges Beispiel dafür, dass die Regierung in den besetzten Gebieten Siedlungen niederreissen liess. Ohne die Gush-Emunim-Leute kann man die heute in Israel betriebene Besiedlungspolitik nicht begreifen. Meiner Auffassung nach ist dies eine Schicksalsfrage im Verhältnis zwischen Israelis und Palästinensern; darauf hat auch Ahmed Rami verschiedentlich hingewiesen.

    Ankläger B: Lassen wir das auf sich beruhen. Es gibt noch vieles andere, worüber wir sprechen müssen. Da Sie das, was Ahmed Rami Ihrer Meinung nach bezweckt, immer insgesamt beurteilen, so will ich auf einen anderen Ausdruck eingehen, der in der gleichen Aktenbeilage zitiert wird... Es geht um den Ausdruck "Holocaust-Bluff". Er ist in verschiedenen Programmen aufgetaucht. Es wird der Versuch unter-nommen, zu beweisen, dass der Holocaust überhaupt geschehen ist. So sei die Vergasung von Millionen Juden ein "zionistischer Schwindel".

    Das Beweismaterial für die Judenausrottung sei wertlos oder gefälscht. Die Zeugenaussagen seien belanglos oder widersprächen einander, Geständnisse seien durch die Folterung von SS-Leuten erzwungen worden, steht da unten auf der gleichen Seite. Eine Diskussion darüber, wo die Gaskammern gelegen haben, führt schliesslich auf Seite fünf zur Folgerung, dass sich der Holocaust gar nie zugetragen habe. Wie beurteilen Sie die Tatsache, dass in den Programmen dergleichen Thesen über die Judenvernichtung dargelegt werden, und was mag wohl dahinter liegen? In welcher Absicht vertritt Rami wohl solche Theorien?

    Bergman: Ahmed Rami gibt hier das wieder, was einige Vertreter der sogenannten revisionistischen Schule sagen. Persönlich distanziere ich mich von dieser revisionistischen Haltung. Man kann natürlich darauf hinweisen, dass beim Nürnberger Prozess und in der unmittelbaren Nachkriegszeit behauptet worden ist, alle Konzentrationslager in Europa seien Vernichtungslager gewesen. Doch dies musste man in Nürnberg zurücknehmen; man hielt dort fest, dass die Vernichtungs-lager hauptsächlich in Polen und Russland lagen...

    (Anmerkung des Übersetzers: Hier irrt Prof. Bergman; er gibt die im Nürnberger Prozess aufgestellten Behauptungen unkorrekt wieder. Auf den "Holocaust" wird im folgenden Kapitel ausführlich eingegangen.)

    Ankläger B: Wir können nun auf die Äusserung 2 auf Seite 4 übergehen. Hier dreht es sich um Protokoll Nr. l aus den Protokollen der Weisen von Zion. Auch hier wird wieder die Parallele zum 5. Mosesbuch, Kapitel 20, gezogen. Es wird da eine Art Gebrauchs-anweisung erteilt, wie man sich verhalten solle, wenn man eine Stadt einnimmt. Auf den Leser wirkt das sehr übel. Und weiter heisst es:

    "Während sich die Protokolle der Weisen von Zion darauf beschränk-en, in allgemeinen Worten eine zionistische Terrorherrschaft zu propagieren, beschreibt das Judengesetz eine genau dargestellte Terror-herrschaft als "von Gott angeordnete Pflicht", wo Notzucht, Plünderungen, Massenmord und sogar Völkermord den Juden vorgeschrieben werden. Die Judenbibel in ihren allerheiligsten Passagen ist also noch weitaus schlimmer als die Protokolle der Weisen von Zion", usw.

    Was ich hier feststelle, ist folgendes: Wie Sie selbst sagten, wurde das fünfte Mosesbuch 700 Jahre oder so nach den geschilderten Ereignissen niedergeschrieben. Ist es eine Gebrauchsanweisung, die hier dargeboten wird, und ist es eine "angeordnete Pflicht", sich so zu benehmen, wie hier steht?

    Bergman: Ja, so steht es hier, im 5. Mosesbuch 20, Verse 10 bis 17.

    (Anmerkung des Übersetzers: Die betreffende Passage lautet wie folgt: Wenn du vor eine Stadt ziehst, um gegen sie zu kämpfen, so sollst du ihr zuerst den Frieden anbieten. Antwortet sie dir friedlich und tut sie dir die Tore auf, so soll das ganze Volk, das darin gefunden wird, dir fronpflichtig sein und dir dienen. Will sie aber nicht Frieden machen mit dir, sondern mit dir Krieg führen, so belagere sie. Und wenn sie der Herr, dein Gott, dir in die Hand gibt, so sollst du alles, was männlich darin ist, mit der Schärfe des Schwerts erschlagen. Nur die Frauen, die Kinder und das Vieh und alles, was in der Stadt ist, und alle Beute sollst du unter dir austeilen und sollst essen von der Beute deiner Feinde, die dir der Herr, dein Gott, gegeben hat. So sollst du mit allen Städten tun, die sehr fern von dir liegen und nicht zu den Städten dieser Völker hier gehören. Aber in den Städten dieser Völker hier, die dir der Herr, dein Gott, zum Erbe gegeben hat, sollst du nichts leben lassen, was Odem hat.)

    Ankläger B: Ich meine, wenn von einer "angeordneten Pflicht" gesprochen wird, gilt diese auch noch in der Neuzeit?

    Bergman: Jawohl, und hier kommen wir auf die Mitzwa-Überlegung zurück. Die vorliegende Stelle gehört zu den Herem-Texten und steht dementsprechend mit dem Amalek-Begriff im Zusammenhang. Es geht um die Erstürmung von Jericho. Hier stehen in der Heiligen Schrift ganz genaue Aufforderungen, und die Passage ist natürlich bedeutend gefährlicher, wenn sie im fünften Mosesbuch steht, als wenn sie in den Protokollen stünde. Wir haben es mit einer Mitzwa zu tun.

    Ankläger B: Na, das meine ich nicht... man kann wohl schwerlich annehmen, dass ein Jude dies liest und dann genau das tut. So närrisch wird er ja kaum sein, oder?

    Bergman: Doch, es gibt schon solche Juden, darunter sogar Rabbiner. Den Ausdruck närrisch habe ich übrigens nicht verwendet, und sie würden sich selbst auch nicht so bezeichnen.

    Ankläger B: Bestimmt nicht.

    Bergman: Das Ganze ist eine schwerwiegende Sache.

    Ankläger B: Nochmals: Dies alles wird doch nicht etwa als "Pflicht" dargestellt?

    Bergman: Oh doch, es wird von einem Rabbi in einer Yeshiva für Soldaten als solche dargestellt. Ich habe ja Beispiele dafür genannt. Auch bei der Errichtung einer Siedlung im Gazastreifen stellte ein Rabbi es als Pflicht dar usw. Es wird heute praktisch als Mitzwa aufgefasst, die Gottes Befehl zum Ausdruck bringt. So ist es nun einmal.

    Ankläger B: Nun will ich noch auf Aktenbeilage 10 eingehen, auf das Papier Nr. 6. Auch hier geht es wieder um die Protokolle. Wir sind jetzt bei Protokoll Nr. 2.

    Es wird von den Modeströmungen mancher Intellektueller gesprochen, den Darwinismus, den Marxismus, den Nietzscheanismus; sie alle sollten von den Juden benutzt werden, um zur Auflösung der nicht-jüdischen Gesellschaften und Denkweisen beizutragen, ohne dass diese Absicht ersichtlich wird.

    Dann kommt wieder ein Zitat aus dem 5. Mosesbuch, und dann die Schlussfolgerung: "Versetzen wir uns in unsere Zeit, so können wir feststellen, dass so gut wie alle irrsinnigen oder verkehrten Ideen, die grosse Verbreitung erlangen und durch miteinander rivalisierende, sektiererische Gruppen viel Verwirrung stiften und die Menschen in Angst und Schrecken versetzen, jüdischer Herkunft sind."

    Hier rede ich nicht um Rabbiner, sondern um etwas ganz anderes. Hier wird auf den Marxismus verwiesen, auf die Freudsche Psycho-analyse, die Frankfurter Schule, und es wird eine Menge jüdischer Namen genannt. "Man beachte nun, wie oft diese angsteinflössenden Ideen die Literatur beeinflussen, die gesamte Unterhaltungsindustrie, die Filme, die Rockmusik, die überwiegend von Juden gelenkt wird, auch wenn die Künstler gutbezahlte Gojim sind, die zu zweifelhaften Geschäften mit zweifellos dekandenten und allgemein moralzersetz-enden Auswirkungen gelockt werden." Sind das vernünftige Folger-ungen?

    Bergman: Ich bin hierher geholt worden, um darauf zu antworten, wie man Bibelzitate auslegt, und sehe nicht so recht, was das mit solchen zu tun hat.

    Gerichtsvorsteher: Es wird auf Jesaja 19 verwiesen.

    Bergman: Dort steht der Ausdruck "mit Verwirrung schlagen"; darauf ist Krister Stendahl früher schon eingegangen, und ich habe auch ein paar Beispiele angeführt. Diese Wendung kann im Zusammenhang mit einer Eroberung oder mit einem sonstigen wunderbaren Eingreifen Gottes benutzt werden. Unter den Gegnern entsteht Verwirrung, und Krister Stendahl meinte, dieses Thema finde man bei vielen Kulturen.

    Ankläger B: Mich wundert es, was das mit Bibelworten zu tun haben soll. Zuerst geht es um das fünfte Mosesbuch, Kapitel 7, Vers 3, und dann um Jesaja 19. "und ich werde die Ägypter aufeinanderhetzen", und dann wird der Schluss gezogen, hinter diesen Bibelworten verbörgen sich gewisse jüdische Phänomene wie die Freudsche Psychologie; damit werde die Angst geschürt, und man mache dann mit gutbezahlten Gojim Geschäfte, usw. Da all dies mit Bibelworten verknüpft wird, müssen Sie doch eine Meinung dazu haben?

    Bergman: Dies alles ist weit von den Bibelworten entfernt.

    Ankläger B: Könnte hier eine Missachtung der Juden vorliegen?

    Bergman: Jedenfalls wird keine Achtung und kein Respekt vor den Juden ausgedrückt. Das kann man jedenfalls sagen.

    Ankläger B: Allerdings. Gehen wir weiter zum Dokument Nr. 7. "In einem Artikel der Dagens Nyheter vom Dienstag, dem 7. Oktober, heisst es: 'Wer bei den Israelis Verdacht und Schrecken erwecken will, hat eine weitaus leichtere Aufgabe als jemand, der Ruhe verbreiten möchte...' Diese Massenpsychose von Angst und Grauen und frecher Arroganz ist wie ein Sicherheitsventil, um den Schrecken zu überwinden. Ja, es scheint dies scheint typisch für die Juden zu sein.

    Letztlich hat all dies seine biblische Ursache in dem entsetzlichen Dämon, den sie selbst geschaffen und mit ihrer grässlichen, abgründigen Mentalität zum Gott gemacht haben. Es ist dies Jahve, der sie für den geringsten Ungehorsam mit den allerscheusslichsten Strafen heimsucht. Es ist da nur logisch, dass ein Volk, das jahrtausendelang diesen Gott der Rache angebetet hat und sich gleichzeitig einbildet, das auserwählte Volk zu sein, alle paranoiden Züge entwickelt hat und zum Gefangenen des Schreckens und der Furcht wird. Dass es nicht zur Ruhe kommt und nicht Vernunft annehmen will. Dass es seinen Dämonen gehorcht, aber noch nie oder allzu selten auf die Stimme der Vernunft gehört hat."

    Ich behaupte, dass hier sei eine Beschreibung der Juden. Glauben Sie, es sei eine gute Beschreibung?

    Bergman: Es ist psychologisch, sozialpsychologisch möglich, zu belegen, dass es unter gewissen Umständen schwierig, gefährlich und riskant sein kann, sich mit einer gewissen Auswahl von Texten zu befassen. Dies gilt nicht nur für Texte aus dem Alten Testament, sondern auch für andere Texte religiöser Art. Doch soweit, die oben zitierten Schlussfolgerungen daraus zu ziehen, gehe ich nicht.

    Ankläger B: Nein. Auf der nächsten Seite, Seite 7, steht, kurz gesagt, die Juden bedienten sich alter Listen, um die Christen unter Hinweis auf das Alte Testament völlig zu judaisieren und an sich zu binden. Ich gehe nicht näher darauf ein, doch hier wird Luther zitiert, über die Juden und ihre Lügen. Warum wird Ihrer Ansicht nach Luther zitiert, und welches Ziel verbirgt sich wohl dahinter?

    Bergman: Luther ist für eine schwedische Zuhörerschaft selbstver-ständlich nicht unaktuell. Deshalb ist der Verweis auf ihn bestimmt nicht an den Haaren herbeigezogen. Die Schrift "Von den Juden und ihren Lügen" ist eine von vier, in denen sich Luther gegen die Juden wendet. Sie entstand, wie Krister Stendahl sagte, kurz nach 1540, und man kann festhalten, dass hier so gut wie alle erdenklichen Lästerungen und Schimpfwörter gegen die Juden vorkommen.

    Ankläger B: Luther hat zwar in einer ganz anderen Zeit gelebt, aber kann man ihn als Antisemiten bezeichnen?

    Bergman: Durchaus. Was er sagt, ist typisch für den Antisemitismus des 16. Jahrhunderts.

    Ankläger B: Wenn wir zu Seite 8 übergehen, kann ich eine ähnliche Frage stellen. Es geht hier um ein Zitat eines Mannes namens Montgomery. Auch wird - ich bitte um Entschuldigung, wenn das nichts mit der Bibel zu tun hat - Arthur Engberg zitiert. (Ein namhafter Sozialdemokrat in der ersten Jahrhunderthälfte.) Er soll gesagt haben:

    "In dieser Expansion liegt der ganze Charakter des Judentums", und weiter wird er mit den Worten zitiert, die Juden zerfrässen alles von innen, sie untergrüben und verbrennten alles. Wie beurteilen Sie diese Aussagen Arthur Engbergs?

    Bergman: Es mag ja nicht so grob rassistisch sein, dass es von einem Hitler-Anhänger stammen könnte, doch diese Art antijüdischer Aussagen waren in Schweden zu jener Zeit gang und gäbe.

    Ankläger B: Nun gehen wir wieder zu einer Sache über, die mit der Bibel im Zusammenhang steht. Wir sind immer noch bei Aktenbeilage 12. Als Zitat Nr. 18 ist hier vermerkt: "Stossen wir zu unserem Jahrhundert vor, so konstatieren wir, dass so gut wie alle mehr oder weniger perversen, sexuell besessenen Theorien von Juden lanciert worden sind und von diesen am Leben erhalten werden."

    Dann wird Sigmund Freud genannt, der sexuell besessen gewesen sein soll. Auch ein Sektenhäuptling namens Scheike taucht auf, der angeblich stark von Freuds jüdischen Sexualtheorien geprägt sein soll. Blättern wir um. Es geht um Freud und seine Ideen, und weiter unten wird ein Bibelwort zitiert. "Und wo in der Judenbibel finden wir diese perverse Vorstellung als Gebot vom Judengott Jahve?"

    Das folgende Zitat können Sie selbst sehen. Es geht darum, ob man gezwungen werden kann, seine eigene Leibesfrucht zu verzehren usw. Und nun die Folgerung: "Ja, sexuelle Besessenheit und perverse Phantasien und Fixierungen sind also etwas echt Jüdisches, und dies hat seine Auswirkungen auf den Staat Israel. Gläubige Juden sehen den Staat Israel nicht bloss als das ihnen von Gott verheissene Land an, sondern auch als Muttererde, die ständig befruchtet werden muss und nicht von den Unreinen besudelt werden darf, also von den Nichtjuden, den Palästinensern oder anderen Völkern. Israel ist also eine Art sexueller Besessenheit."

    Nun will ich Sie mal ganz direkt fragen - wer diese Botschaft hört, kann sich ja die Frage stellen: "Ja sind die Juden denn sexuell besessen?" Hegen Sie diese Auffassung? Sind die zitierten Bibelworte nicht möglicherweise falsch gedeutet worden?

    Bergman: Dass das Judentum eine positive Einschätzung zur Schöpfung und dem Sexuellen hat, ist völlig klar. Auch bedarf es keiner Diskussion darüber, dass es eine lebhafte Debatte sowie eine ausserordentlich grosse Anzahl von Büchern gibt, die sich mit dem jüdischen Erbe oder Antierbe bei Sigmund Freud usw. beschäftigen, dass Juden wie Nichtjuden Freud teils als Fortführer, teils als Gegner dieses Erbes betrachtet haben. Ich habe, glaube ich, bereits erwähnt, dass es eine sehr reiche psychologische und soziologische oder sozialpsychologische Wissenschaft gibt, in der Juden eine führende Rolle gespielt haben. Es ist dies ein Ergebnis der jahrhundertelang gespeicherten Erinnerung an das Leiden und andere Erfahrungen, mit denen man zu ringen hatte und die man auf allerlei Art zu erklären suchte, nicht nur religiös, sondern auch psychologisch und sozio-logisch.

    Auf der theologischen Seite gibt es eine Form der "zionistischen Religion", die natürlich vom strikt jüdisch-orthodoxen Standpunkt aus etwas höchst Merkwürdiges ist. Dort wird der Begriff des Landes ungemein strapaziert, und manche, wie Richard Rubinstein, meinen, man sei nach Kanaan zurückgekehrt, und man bekomme den Eindruck, Kanaan und nicht die alten Israeliten errängen den Sieg. Im Zusammenhang damit und mit der Kabbala, die auch viele sexuelle Spekulationen enthält, sind eigenartige Theorien entwickelt worden, das lässt sich wohl sagen.

    Ankläger B: Hier haben wir Aktenbeilage 2. Es geht um Äusserung Nr. 15. Es wird hier eine Bezeichnung für diverse Erscheinungen genannt, nämlich "Chutzpah, jüdische Frechheit". Ich greife aus den jüdischen Frechheiten eine heraus: "Die Juden arbeiten darauf hin, die ganze Welt zu erobern, alle, die sich der Judenherrschaft widersetzen, zu töten und den Rest der Menschheit zu versklaven, sprechen aber dabei von Gerechtigkeit und Frieden." Dies sei "wahnsinnig frech". So steht es hier. Das "Imperialistische" wird auch erwähnt. Ist das eine richtige Beschreibung der Juden?

    Bergman: Wenn wir den Judenstaat Israel und seine Politik betracht-en, stellen wir fest, dass er nach der Invasion im Libanon, die "Frieden in Galiläa" genannt wurde, in eine expansive Phase getreten ist. Wenn es um den Imperialismus geht, dreht es sich aber um Geld- und Machtfragen, und für solche bin ich kein Spezialist.

    Ankläger B: Es wird ja an mehreren Stellen behauptet, ich brauche wohl keine zu zitieren, dass die Juden auf die Weltherrschaft erpicht seien. Einen eigenen Staat anzustreben ist das eine, aber hier steht, sie wollten die Welt beherrschen.

    Bergman: In gewissen Vorstellungen über die "Endzeit" stehen Passagen wie die, wonach die Völker aus Osten, Westen, Norden und Süden kommen werden, um Abraham, Isaak und Jakob ihre Aufwart-ung zu machen. Man muss hier zwei Traditionen unterscheiden. Die eine beruht darauf, dass man die in der Diaspora verstreuten jüdischen Gemeinden wieder versammelt. Es gibt auch eine andere Deutung, die man als "Ganzheitsperspektive" bezeichnen kann. Sie kann ohne weiteres als imperialistisch bezeichnet werden.

    Kommen wir auf die "Chutzpah" zu sprechen. Um eine neutrale Defini-tion des Begriffs zu erhalten, habe ich in verschiedenen Enzyklopädien nachgeschlagen. Es wird etwa folgendes Beispiel für jüdische Frechheit genannt: Ein Sohn erschlug beide Eltern und ging dann bei der Gemeindekasse schnorren, weil er Waise sei. Wie man diese Chutzpah auslegen soll, ist eine andere Frage. Ich habe dieses Beispiel aus der Encyclopedia Judaica; ich habe es also nicht selbst erfunden.

    Ankläger B: War das ein konstruiertes Beispiel oder etwas anderes? Sie wissen nicht zufällig, ob ihm eine wirkliche Begebenheit zugrunde lag?

    Bergman: Keine Ahnung...

    Ankläger B: Aber solche Behauptungen... Nach dem, was Sie sagen, ist es doch eine gewaltige Übertreibung, zu behaupten, die Juden strebten die Weltherrschaft an, wollten alle, die sich ihnen widersetzten, umbringen, und den Rest der Menschheit versklaven. Wer, glauben Sie, wird durch solche Aussagen betroffen? Wer fühlt sich da unwohl? Ist es möglicherweise ein Ausdruck mangelnder Achtung vor dem jüdischen Volk, so etwas zu behaupten?

    Bergman: Da darf ich auf Leon Pinskers Buch "Die Autoemanzipation des Judentums" hinweisen. Er war möglicherweise ein noch bedeut-ender Ideologe des Frühzionismus als Theodor Herzl. Die Arbeit stammt aus den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Der Autor war von Beruf Arzt und stammte aus dem heutigen Ungarn. Er schreibt, die Menschen würden "als zwei Gruppen geboren. Die erste Gruppe wird als Juden geboren, die zweite als Antisemiten." Geht man von einer solchen Einteilung der Menschheit aus, so wird man natürlich unruhig und kann sich die Konsequenzen ausmalen, die eine Verwirklichung dieser Vorstellungen nach sich zöge.

    Gerichtsvorsitzender: Wie hiess der Verfasser schon wieder?

    Bergman: Leo Pinsker.

    Ankläger B: Meine konkrete Frage ging dahin, ob die Juden darauf hinarbeiten, die ganze Welt zu erobern, alle Widersacher der jüdischen Weltherrschaft zu töten und dann sämtliche anderen Völker zu versklaven. Es war eine direkte Frage.

    Bergman: Ich sehe hier jedenfalls keinerlei Achtung vor den Juden.

    Ankläger B: Allerdings nicht. Wir können nun zu einer anderen Stelle übergehen, Aktenbeilage 43, Seite 14... Ich stelle dazu einerseits deshalb eine Frage, weil eine Charakterisierung der jüdischen Religion vorliegt, andererseits, weil Sie zuvor gesagt haben, die Solidarität mit den Palästinensern sei Ramis vorherrschendes Motiv, und deswegen hätte ich gerne Ihren Kommentar zu dem folgenden.

    Was hier steht, stammt von einem Mann namens Richard Hejll. Es handelt sich um Ausschnitte aus einem von ihm verfassten Artikel in einer Zeitschrift, die er selbst herausgab und die Den Enskilde (Der einzelne) hiess. Ich zitiere: "Wie muss ein Volk wohl beschaffen sein, dass zu allen Zeiten den Abscheu und die Verbitterung aller Völker erweckt hat, ohne dass man dafür einen anderen triftigen Grund nennen könnte als den abstossenden Charakter der Juden selbst?

    Sich davon zu überzeugen ist ein Ding der Leichtigkeit. Man braucht ja nur jenes Buch zu studieren, welches man gemeinhin das Alte Testament nennt, das aber nichts anderes als die Judenbibel ist, jene einzigartige Urkunde, in welcher jenes Volk mit vollkommener Auf-richtigkeit, um nicht zu sagen Naivität, seinen eigenen grenzenlosen Hochmut und seine Selbstgerechtigkeit entblösst, seine eigentümliche sogenannte 'Frömmigkeit' und Moralität, die in christlicher Gestalt ganz Europa vergiftet hat."

    Dann heisst es, die Judenreligion sei immer eine Religion des reinsten Materialismus gewesen, usw. "Und das ganze Sehnen und Trachten des Juden läuft darauf hinaus, irdische Macht und Reichtümer zu erwerben, so dass er letztlich die Herrschaft über den ganzen Erdball erlangt."

    Und weiter: "Ich habe niemals auf dieser Erde einen so vollendeten Egoisten gefunden wie den Juden, und hier haben wir die Wurzel des grenzenlosen Übermuts und geistigen Hochmuts, der die Juden seit jeher kennzeichnet. Ein echter Jude (es geht um Hiob), ein solcher eingebildeter Halunke wird von den Christen bewundert. Eine andere Eigenschaft, die laut Schopenhauer den Juden stets innewohnte, ist ihr vollkommener Mangel an Wahrhaftigkeit, Anstand und Bescheiden-heit, und dass dies stimmt, kann gewiss nicht bestritten werden. Doch diese Schamlosigkeit, die der Jude allerdings gelegentlich zu verbergen sucht, stellt ein unzweideutiges Zeichen eines niedrigen und primitiven Charakters dar und hat fraglos mehr als alles andere zu dem Abscheu beigetragen, die man schon in der Antike vor der jüdischen Rasse empfand." Ist das Rassismus?

    Adv. F: Das sind aus dem Zusammenhang gerissene Zitate aus einem langen Aufsatz. Ich meine, Sie sollten dem Zeugen eine Chance bieten, sich ein Gesamtbild von dem Aufsatz zu machen.

    Ahmed Rami: Heill war selbst ein Jude, doch trat er zum Christentum über. Wenn er das Judentum kritisiert, bezieht er sich nicht auf den biologischen oder ethnischen Aspekt, sondern auf die Religion.

    Ankläger B: Ich glaube nicht, dass Rami imstande ist, zu deuten, was er meinte. Doch glaube ich, wenn wir den ganzen Artikel lesen, macht dies die Sache kein bisschen besser. Es würde Zeit beanspruchen, vielleicht eine halbe Stunde. Sollen wir das tun? Gehört das hierher?

    Advokat F: Ich glaube, Sie sollten dem Zeugen eine Chance bieten, indem wir den Artikel ganz lesen, um uns ein umfassendes Bild machen zu können. Doch zuerst müssen wir wissen, ob der Zeuge überhaupt das Bedürfnis nach einer so vollständigen Information über den Autor und den Zusammenhang empfindet, in dem der Aufsatz zu sehen ist.

    Bergman: Ich muss zugeben, dass ich den Verfasser nicht kenne.

    Gerichtsvorsitzender: Sie können ja sagen, aus welcher Zeit der Artikel stammt.

    Ankläger B: Ja, das steht im Text. Ich entsinne mich nun nicht mehr, ob es 1962 oder 1965 war, aber das spielt wohl keine so grosse Rolle. (Der Text wird verlesen.)

    Ankläger B: Nach dieser Lektüre stelle ich nun die Frage: Können Sie sich eine Meinung darüber bilden, ob das hier nun Rassismus ist oder nicht?

    Bergman: Vielleicht liegt hier das vor, was man bisweilen als "jüdischen Selbsthass" bezeichnet.

    Ankläger B: Ja so. Können Sie nicht beantworten, ob es Rassismus ist oder nicht?

    Bergman: Wenn der Betreffende selbst Jude ist, ist eine solche Beurteilung höchst knifflig. Es würde dies ja voraussetzen, dass er sich selbst mitbeurteilt. Die Frage stellt sich hier, wie man die Kritik eines Juden am Judentum auffassen soll, wenn er seiner Religion den Rücken gekehrt hat, aber von einem "rassistischen" Standpunkt aus natürlich weiterhin Jude ist.

    Ankläger B: War Engberg Rassist?

    Bergman: Das glaube ich nicht. Aber es geht hier ja um Hejll.

    Ankläger B: Nun, hier sollen wir alles beurteilen, wir dürfen Hejll nicht isoliert betrachten... Beachten Sie auch die Wendungen "der abstossende Charakter des Juden selbst" und "man braucht ja nur jenes Buch zu studieren, welches man gemeinhin das Alte Testament nennt". Hier sind wir also wieder bei der Bibel.

    Bergman: Wenn das mit dem Alten Testament in Verbindung steht, so kann man sagen, dass es eine Form der Schmähung darstellt. Es ist offenkundig, dass hier alttestamentarische Zitate auf eine Weise ver-wendet werden, die man traditionall als Schmähung bezeichnet. Man könnte auch von Gotteslästerung reden. Nun ist aber der Gottes-lästerungsparagraph aus dem Strafgesetzbuch entfernt worden ...

    Ankläger B: Darüber brauchen wir uns hier wohl kaum den Kopf zu zerbrechen. Es geht hier um "Hetze gegen eine Volksgruppe". Die jüdische Volksgruppe, wohlverstanden. Ist dieser Ausdruck hier berechtigt?

    Bergman: Ich frage mich, ob ich hierher geholt worden bin, um darauf zu antworten. Ich dachte, das sei die Aufgabe der Jury. Ich bin als Experte herangezogen worden, und zwar nicht, um festzustellen, was "Hetze gegen eine Volksgruppe" ist, sondern um darzulegen, wie man Bibelstellen anwendet und welche Funktion sie erfüllen.

    Ankläger B: Ich nehme das als Antwort. Es ist eine Antwort mit einer ganz bestimmten Tendenz; darum gebe ich mich damit zufrieden.

    Bergman: Soll die Meinung des Experten darüber, ob hier "Hetze gegen eine Volksgruppe" vorliegt oder nicht, berücksichtigt werden? ... Ich bleibe bei meiner Meinung, dass man Ahmed Ramis Tätigkeit und die Härte seiner Attacken nicht verstehen kann, wenn man nicht versucht, die reelle Situation von palästinensischem Standpunkt aus zu sehen.

    Ankläger B: Sie werden doch nicht etwa ernstlich behaupten - und ich gehe davon aus, dass ich mit einem Professor spreche, der ein normales Urteilsvermögen besitzt - dass man in einer Darstellung, deren zentrales Ziel die Bekundung von Solidarität mit den Palästinensern ist, antisemitische und grob judenfeindliche Elemente aufnehmen darf. Sie werden doch nicht sagen, dies sei gestattet?

    Gewisse Übertreibungen kann man in einer religiösen oder sonstigen Debatte zulassen, aber die Solidarität mit den Palästinensern als Vorwand für dergleichen Dinge zu nehmen, besonders die zuletzt zitierten Sachen über die Juden, das geht doch zu weit. Das kann doch nicht Ihre Ansicht sein? Jedenfalls ist es der Absicht nicht förderlich, die Sie genannt haben. Beim vorliegenden Prozess geht es ja um "Hetze gegen eine Volksgruppe", und dabei müssen die verschiedenen Äusserungen beurteilt werden, die gefallen sind. Diverse Äusserungen werden der Jury vorgelegt werden, und sie wird entscheiden müssen, ob da Hetze gegen eine Volksgruppe vorliegt oder nicht. Darum geht es schliesslich.

    Bergman: Ist es die Aufgabe der Experten, auf gleiche Art zu antworten? Ich frage mich nun wirklich, in welcher Eigenschaft ich hier bin: Als denkender Professor, als denkender Mensch oder als Jurymitglied. Es ist eine eigenartige Situation, wenn man als Expert zu einem gewissen Thema befragt wird und das Ergebnis dann ist, dass die Expertenaussage als Massstab dafür genommen wird, ob eine Aussage Hetze gegen eine Volksgruppe darstellt oder nicht. Ich soll also den Entscheid der Jury vorwegnehmen und zugleich hier sitzen und euch mit einem bestimmten Material versorgen.

    Ankläger B: Aber wenn der Prozess so verläuft, dass auch Sie als Experte von der Verteidigung Ramis herbeigezogen werden, dann gehört es zu den Spielregeln, dass Sie auch Fragen der Gegenseite beantworten müssen.

    Bergman: Aber es sollen Expertenfragen sein.

    Ankläger B: Hätten Sie gesagt, ein Teil des Materials - derjenige, der die Palästinafrage behandelt - sei von Ahmed Ramis Standpunkt aus zu verteidigen, aber andere Teile seien Antisemitismus und hätten nichts mit der Palästinafrage zu tun, so hätte das die Sache vereinfacht. Doch nun haben Sie behauptet, dies liesse sich rechtfertigen, und es sei Ausdruck von Ramis Solidarität mit den Palästinensern, und da ist es durchaus nicht merkwürdig, dass ich diese Fragen stelle.

    Bergman: Ich habe gesagt, wenn wir Ahmed Ramis Handeln verstehen wollen, so müssen wir beim Konkreten beginnen, also bei den Leiden, den Schikanen und dem Schlimmeren, was den Palästinensern im besetzten Gebiet zustösst. Ich sagte dies nicht, um zu verteidigen, sondern um einen Klärungsversuch zu unternehmen.

    Ankläger B: Aber die letztendliche Frage, die hinter meinen ständigen, bohrenden Fragen liegt, ist doch: Liegt hier eine Missachtung der Juden vor? Man kann sich ja auf eine Art und Weise ausdrücken, die sich verteidigen lässt, doch haben wir es ja mit einem Verbrechen zu tun. Darum stelle ich doch diese Fragen! Doch nun will ich es auf sich beruhen lassen und nicht weiterbohren.

    Adv. F: Es ging um Aktenbeilage 43, Anklagepunkt 2. Hier haben wir eine Menge Material, gegen das Klage eingereicht worden ist. Ich begreife, dass man nicht alles im Kopf behalten kann, doch wenn ich nur ein wenig aus der Einleitung vorlese, von einem Text, in dem es um das Koscherschlachten geht, so möchte ich Ihnen dann eine Frage stellen.

    "Wir alle sehen am Fernsehen und in den Zeitungen recht oft Bilder, wo die jüdischen Soldaten in Israel genüsslich und auf rituelle Weise gefesselten, wehrlosen Palästinensern Beine und Arme brechen, wo jüdische Soldaten Palästinenser lebend begraben, einen lebenden Palästinenser in seinen Backofen stossen, um ihn zu verbrennen" usw.

    Zuerst wird also Mitleid mit Menschen erweckt, und dann geht man zu den Tieren und zum Tierschutz über. Sehen Sie irgendeine Verbindung zwischen dem eben vorgelesenen Text und der Palästinafrage?

    Bergman: Zu Beginn ein ganz direkter Zusammenhang. Am Fernsehen sieht man das Schlachten von Menschen. Dann springt der Gedanke auf das koschere Schlachten. Der Zusammenhang existiert in der Tat. Ich kann übrigens auf das Bild verweisen, das ich vor mir habe; es stammt aus der israelischen Zeitung Yediot Aharanot vom 5. Februar 1988 und wurde von einem Journalisten namens Jigal Sarnah auf-genommen.

    Es geht um einen Rabbiner, der bei einer auf den Golan-Höhen stationierten Einheit als Armeegeistlicher eingesetzt war. Man ging mit Knüppeln auf Araberpirsch, und der Rabbiner prügelte auch wacker mit. Dann sagte er aber: "Ich sehe es als meine Aufgabe, die Soldaten so zu beeinflussen, dass sie keinerlei Freude empfinden, wenn sie diese Palästinenser prügeln." Der Rabbiner beteiligt sich also an den Prügeleien, setzt sich aber dafür ein, dass die Schläger kein Vergnügen bei ihrer Arbeit empfinden... Dies ist nur ein konkretes Beispiel, das natürlich nichts über den Zusammenhang zwischen dem Prügeln und dem Koscherschlachten besagt...

    Adv. F: Eine andere Frage, die während Ihrer Befragung durch den Ankläger gestellt wurde, betritt diese Äusserung, die in der Klage vom 20. März erwähnt wird. Es geht also um Aktenbeilage 10 und Anklage-punkt 18. Das Thema sind Sexualtheorien, Sigmund Freud und dass Zitat aus dem 5. Mosesbuch, Kapitel 28, wo vom Verzehren seiner eigenen Leibesfrucht gesprochen wird.

    Unten auf Seite 13 heisst es: "Gläubige Juden sehen den Staat Israel nicht bloss als das ihnen von Gott verheissene Land an, sondern auch als Muttererde, die ständig befruchtet werden muss und nicht von den Unreinen besudelt werden darf. Israel ist also eine Art sexuelle Besessenheit." Sehen Sie hier eine Verknüpfung mit der Palästinafrage?

    Bergman: Im Hohen Lied findet sich eine sehr reiche, schwer zu deutende Symbolwelt. Die Braut, der Bräutigam, Tochter Zion im Ver-hältnis zu Gott. Die Erde, Eretz Israel, wird da fast vergöttlicht; Land und Volk sind so vereint, dass man an die Symbolik des Hohen Lieds mit seinen Hinweisen auf Braut und Bräutigam denken kann.

    Besonders in der lurianischen Kabbala findet man eine Entwicklung der mittelalterlichen Kabbala, die während des 16. Jahrhunderts in Safed entstand. Dort wird die Symbolik von Mann, Frau und Vereinigung stark weiterentwickelt. Ohne Zweifel sind dergleichen Vorstellungen die Grundlage für manche Sexualtheorien jüdischer Verfasser, woraus man allerdings keine sicheren Folgerungen ziehen kann. In gewissen Traditionen wird behauptet, dies habe auch sexuell stimulierende Effekte. Doch gibt es auch Forscher, die hier unschlüssig sind.

    Adv. F: Der Ankläger hat Ihnen auch eine Frage über den "Holocaust" gestellt, im Zusammenhang mit dem, was in den Programmen über den Holocaust gesagt wurde und was in Aktenbeilage 43 vom 31. Mai erwähnt wird. In einem Programm war vom "Holocaust-Mythos" die Rede, und die Frage lautet: Besteht hier eine Verbindung zum Palästinakonflikt? Professor Hjärpe, der gestern hier war, meinte, ein möglicher Gedankengang laute dahingehend, dass der "Holocaust" israelischerseits ausgeschlachtet wird, um Kritik abzuwürgen. Die Palästinenser müssen gewissermassen für den Völkermord an den Juden während des 2. Weltkriegs bezahlen. Scheint dies auch Ihnen eine vernünftige Erklärung?

    Bergman: Dies ist ganz sicher möglich...

    Adv. F: Oder begreiflich.

    Bergman: Ja, da kann ich voll zustimmen.

    Adv. F: Die Verbindung mit Palästina ist also begreiflich?

    Bergman: Man kann gewissermassen sagen, der "Holocaust" sei eine europäische Frage. Ich ziehe allerdings die Begriffe "Shoa" oder "Judenmord" vor, denn der Begriff Holocaust bedeutet eigentlich "Brandopfer" und scheint mir sehr unpassend. Der "Judenmord" gehört nicht zur Geschichte der Palästineser. Ich behaupte damit nicht, er habe sich nicht zugetragen, doch er wird auf eine grausam ungerechte Weise mit der palästinensischen Geschichte gekoppelt.

    Die Palästinenser mussten bezahlen, was eigentlich andere hätten bezahlen sollen. Hier haben wir es natürlich mit unschuldigen Opfen zu tun. Dies alles bedeutet nicht, dass wir den "Judenmord" bestreiten. Man fragt sich nur, warum Menschen, die diesen "Judenmord" direkt oder indirekt miterlebt haben, sich nicht mehr von der Gewalt distanzieren, wenn die Möglichkeit besteht, ohne Gewalt auszu-kommen.

    Adv. F: Wir sprachen vorher über die Siedlungen. Stehen Ihnen Informationen darüber zur Verfügung, wie die Siedlungstätigkeit wirtschaftlich finanziert wird? Sie haben ja jene Gegend unzählige Male besucht. Ich meinte, vielleicht wissen Sie darüber mehr.

    Bergman: Es gibt verschiedenartige Finanzquellen. In Israel besteht eine Art Doppelwirtschaft. Vor der Bildung des Judenstaates Israel war es völlig klar, dass man jüdischerseits die künftigen Strukturen des Staats vorbereitete und hatte provisorische Organisationen, die später zu Departementen werden konnten. Was jedoch die Jewish Agency und den Jewish National Fund anbelangte, also die grossen Finanz-fonds, so wurden sie dem israelischen Wirtschaftsdepartement niemals unterstellt. Sie stellen den anderen Teil der israelischen Wirtschaft dar. Neben der Jewish Agency und dem Jewish National Fund gibt es noch eine Reihe ähnlicher Organisationen, und in den USA gibt es Spendensammler, die ganz spezifisch für die verschiedenen Besiedlungsaktionen schnorren.

    Im grossen ganzen kann man sagen, der Jewish National Fund setze sich dafür ein, dass der Boden jüdisch wird. Dies bedingt natürlich eine positive Einstellung zu den Siedlungen. Besorgniserrregend ist, dass diese Besiedlungspolitik mit vollem Einverständnis des Likudblocks erfolgt. Man schlug also nicht den üblichen Weg ein, den gesetzlichen Weg, sondern Gruppen, die oft direkt vom Gush Emunim inspiriert waren, schufen vollendete Tatsachen und weigerten sich dann unter Berufung auf ihr biblisches Recht auf das Land, die Siedlungen zu räumen. Die intensive Besiedlungspolitik, die nach der Besetzung von 1967 anfing, wurde im nachhinein legalisiert.

    Der Geldstrom kommt also vom Jewish National Fund und anderen Sonderfonds. Man kann sich fragen, warum man, als man die Gründung des Judenstaates Israel beschloss, den Jewish National Fund nicht dem neuen Staat unterstellte. Darüber könnte man lange diskutieren.

    Gerichtsvorsteher: Ich habe nur eine Frage betreffs "Gush Emunim". Man hat davon gesprochen, als ob das allen verständlich wäre. Viel-leicht verstehen es doch nicht alle?

    Bergman: "Gush" bedeutet Block, und "Emunim" ist Plural und bedeutet "die Gläubigen". "Emunim" ist dasselbe hebräische Wort, das wir in "Amen" haben.

    Ahmed Rami: Ich möchte Sie fragen, ob es Ihrer Meinung nach Parallelen zwischen den Gefühlen der Muslims gibt, die sich durch Rushdies Buch gekränkt fühlen, und den Gefühlen der Zionisten, die sich durch Radio Islam beleidigt fühlen. Warum verteidigt man Rushdies Recht auf freie Meinungsäusserung, während man Radio Islam zum Schweigen bringen will?

    Bergman: Das ist eine berechtigte, wesentliche Frage, und hierzu möchte ich mich vielleicht abschliessend äussern. Ein Prozess wie der gegenwärtige weist ja zahlreiche Komponenten auf. Ich habe mehrfach unterstrichen, dass meiner Auffassung nach das, was am heftigsten attackiert wird, die gegenwärtige Politik des jüdischen Staates Israel gegenüber den Palästinensern ist.

    Und hier ist es ja klar, dass Paragraphen wie der über "Hetze gegen eine Volksgruppe" versagen. So heftig die Angriffe auf ein politisches System auch sein mögen, mit "Hetze gegen eine Volksgruppe" hat das nichts zu tun. Es ist wohlverstanden äusserst wichtig, dass die Meinungs- und Pressefreiheit gewahrt werden muss, wenn es um politische Kritik geht. Dann kommt der Begriff "Schmähung" oder "Lästerung", also direkte Angriffe auf eine Religion. Dafür gab es früher den Gotteslästerungsparagraphen. Wir in Schweden haben den abgeschafft. Soweit ich mich erinnere, fand der letzte Prozess wegen Gotteslästerung anno 1964 statt, und niemand wurde dabei verurteilt. Es gilt unbedingt zu vermeiden, dass der hier zur Anwendung gelangende Sonderparagraph über "Hetze gegen eine Volksgruppe", dessen Wurzeln ins Jahr 1948 reichen, in der Praxis nicht zu einen neuen, getarnten Gotteslästerungsparagraphen wird. So betrachte ich das ganze.

    Gerichtsvorsteher: Es ging doch um Rushdie...

    Bergman: Ich versuche mich in die Gestalt des Justizministers zu versetzen, der Rushdies Buch nicht wegen "Hetze gegen eine Volksgruppe" angeklagt hat. Es ist völlig eindeutig, dass Rushdies Werk - besonders Zwei kapitel davon - eine ganz klare Lästerung darstellt. Hätten wir den alten Paragraphen noch, so wäre ich sehr erstaunt gewesen, wenn es keinen Prozess gegeben hätte. Der Begriff "Lästerung" wird immer verwendet, wenn es gegen eine Religion geht.

    Ich sagte in meinen früheren Auslassungen, es gebe im Material von Radio Islam viele Fälle von Lästerung, in der Art und Weise, wie man alttestamentarische Zitate benutzt und Zitate aus anderen heiligen jüdischen Schriften. Doch die Einstellung der schwedischen Gesell-schaft läuft, wenn ich sie recht verstehe, darauf hinaus, dass, wenn es um die Religion geht, keine Grenzen der Meinungsäusserung gesetzt sind. Das mag uns missfallen, oder wir mögen denken, man könne seine Ansichten anders ausdrücken. Problematisch ist, dass in Para-graphen über "Hetze gegen eine Volksgruppe" unter anderen das religiöse Moment figuriert, was also bedeutet, dass die Religion indirekt ins Spiel kommt, vom Standpunkt der Gläubigen aus gesehen. Dies ist natürlich das grosse Problem.

    Wie wir ohne weiteres feststellen können, erregen sich die Moslems in Schweden wie anderswo aufs allerheftigste über die in Salman Rushdies "Satanischen Versen" geäusserten Angriffe auf den Propheten Mohammed und seine Verwandtschaft. Dementsprechend kann ich auch begreifen, dass man sich jüdischerseits über Radio Islam aufregt. Doch der gegenwärtige Prozess wird nicht wegen Lästerung geführt.

    Angriffe auf eine Religion sind im heutigen Schweden gestattet.

    Gerichtsvorsitzender: Gibt es hierzu noch etwas?

    Ahmed Rami: Rushdie schreibt, die Moslems gingen in der heiligen Kaba zu Mecka umher und warteten auf eine Dirne, die sich dort befinde. Dies ist eine Lüge und eine Lästerung. Von den Muselmanen wird so etwas nicht nur als Missachtung der Religion, sondern auch als Missachtung ihrer selbst aufgefasst. Rushdie lügt einfach. Ich zitiere wenigstens aus dem Alten Testament, aber Rushdie zitiert frei erfund-ene Szenen!

    Bergman: Das ist noch nicht alles. In dem Kapitel, wo es um den Harem des Propheten geht, lässt Rushdie parallel dazu ein Bordell entstehen, wo man so um eine Steinsäule geht, wie man es in der Kaba tut. Das ist ohne jeden Zweifel eine arge Lästerung!

    Gerichtsvorsitzender: Ist das nicht vielleicht ein anderes Thema?

Bergman: Ich möchte nur das Problem aufzeigen, das hier vorliegt. Die Moslems sagen, wir fühlen uns als Volksgruppe, als religiöse Gruppe, durch diese Dinge beleidigt. Der Justizminister sagt, gut, das ist eine Lästerung, aber eine solche ist straffrei. Und dann haben wir ein Parallelfall. Die Juden in Schweden, und sicher auch anderswo, fühlen sich durch Radio islam grob verunglimpft. Doch würde man auch dies unter dem Begriff Lästerung behandeln, so gäbe es keinen Prozess. Wir haben es folglich mit der heiklen Unterscheidung zwischen einer harten Attacke auf eine Religion - einer Lästerung - und der Beleidigung von Menschen auf Grund ihrer religiösen Zugehörigkeit zu tun. Ahmed Rami fühlt sich durch Rushdies Buch als Moslem verunglimpft, aber der Justizminister sagt, nicht Rami werde beleidigt, sondern seine Religion.


Ahmed Rami, Ein moderner Hexenprozess , Deutsche Übersetzung: Jürgen Graf

 

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1. Die Hexenjagd auf Radio Islam

2.
Paragraphen gegen Argumente

3.
Zions zukünftige Herrlichkeit

4.
Die Demokratie muss verteidigt werden !

5.
Die jüdische Macht über die Massenmedien

6.
Die Meinungsfreiheit im Westen eine Heuchelei

7.
Ein demokratisches Palästina !

8.
Die missbrauchte Benennung "Antisemit"

9.
Das Urteil und mein Gefängnisaufenthalt

10.
Wir brauchen eine geistige Erneuerung

11.
Das Flugblatt

12.
Ein Artikel aus der Islamistenzeitung Al-Shaab

13.
Die Befragung Professor Jan Bergmans


No hate. No violence. Races? Only one Human race.
United We Stand, Divided We Fall.
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You too are welcome as a freedom fighter. Act now! Tomorrow it will be too late!
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