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Ein
misslungener Staatsstreich
Am 16. August 1972, etwa um 16 Uhr, fliegt
die private Boeing 727 des Königs, ein
Zivilflugzeug, das ehemals der marokkanischen
Luftfahrtgesellschaft "Royal Air Maroc" (RAM)
gehört hat, mit 100 Passagieren - dem
Monarchen und seinem Hof - an Bord von
Frankreich via Barcelona über die
marokkanische Küste nahe der Stadt
Tetouan.
Der zivile Pilot, Mohamed Kabbaj, sieht
plötzlich drei Jäger des Typs Northrop
15 nahen. Die Maschinen bilden eine
Schutzeskorte für das königliche
Flugzeug. Hassan II sitzt am Schreibtisch und
spielt mit dem französischen Söldner
Sassia, seinem Leibwächter, Karten. Via
Funk erteilt Major Kouera, der eine der drei
Maschinen lenkt, Kabbaj den Befehl, auf dem
Militärflugplatz von Kenitra zu landen,
aber Kabbaj weigert sich, nachdem er beim
König nachgefragt hat.
Plötzlich attackieren die drei
Jäger die Boeing mit ihren
Maschinengewehren. Der untere Teil der Boeing
sowie einer ihrer Motoren werden
beschädigt, doch kann sie ihren Flug
fortsetzen. Der König steht eilends vom
Schreibtisch auf und hastet ins Cockpit zu den
Piloten. Er ergreift ein Funkmikrophon.
In einer Mitteilung an die Piloten der
angreifenden Flugzeuge gibt er sich als
Bordfunker der Boeing aus. "Der König ist
schwerverletzt und liegt im Sterben", sagt er
und bittet um Erlaubnis, auf dem Flughafen
Rabat-Sal landen zu dürfen, um
weiteren Schaden und weitere Verluste an
Menschenleben zu verhüten.
Später sollte sich herausstellen, dass
die Soldaten, welche die Jäger
aufmunitionierten, den falschen Munitionstyp
gewählt hatten. Anstelle von explosiven
Raketen nahmen sie Übungsmunition. Dazu
kam, dass Koueras Maschinengewehr eine
Ladehemmung hatte. In einem letzten,
verzweifelten Versuch, die Boeing zum Landen zu
zwingen, bemühte sich Kouera, sie mit
seinem eigenen Flugzeug zu rammen, doch es
gelang ihm nicht. Sein Jäger wurde dabei
schwer beschädigt, und er selbst wurde
durch seinen Schleudersitz nach aussen
befördert, wonach sich sein Fallschirm
"ffnete.
Verletzt und mit einem Knochenbruch wurde er
in der Nähe von Oulad Khalifa gleich von
Polizisten aufgegriffen und in rasender Fahrt
als Gefangener nach Rabat geschafft. Die beiden
anderen Jagdflugzeuge kehrten auf den
Luftwaffenstützpunkt Kenitra zurück,
um Kriegsmunition zu laden.
Mit nur einem funktionstüchtigen Motor
landete die Maschine des Königs in
Rabat-Sal. Es war nun 16.10 Uhr. Hassan
war sprachlos vor Schreck und völlig
verwirrt. Er stieg aus, inspizierte eine
Ehrengarde, die auf dem Flugplatz wartete, und
zog sich dann ins Hauptgebäude des
Flugplatzes zurück, wo er ca. fünf
Minuten blieb.
Etwa um 16.40 Uhr tauchten vier Jäger
auf und begannen das Flughafengebäude
mitsamt den Landebahnen zu beschiessen. Sie
flogen eine Angriffswelle nach der anderen. Acht
Menschen wurden getötet und weitere 47
verwundet, darunter vier Minister, die zur
Empfangsdelegation für den Monarchen
gehört hatten. Hassan, sein Bruder Prinz
Moulay Abdallah und eine Gruppe Polizisten waren
während der Luftangriffe in einen Hain
neben dem Flugplatz geflüchtet. Dann
machten sich Abdallah und die Polizisten auf den
Weg zur französischen Botschaft; der
König selbst suchte Zuflucht in der
libanesischen.
Währenddessen nahmen acht andere
Flugzeuge vom Luftwaffen- stützpunkt
Kenitra - dieser unterstand Oberst Amrkane - den
Königspalast in Rabat unter Beschuss. Um
16.45 Uhr tauchten acht Jäger im Luftraum
von Rabat auf und begannen den Königspalast
zu bombardieren. Die beiden Piloten, welche
Kouera begleitet hatten und nach dem
missglückten Angriff auf die Boeing nach
Kenitra zurückgekehrt waren, um scharfe
Munition zu laden, erteilten weiteren zehn
Flugzeugen den Befehl, ihnen zu folgen, und
versuchten die Boeing doch noch abzufangen. Doch
diese war längst gelandet. Deswegen
versuchten sie nun, den König dort
anzugreifen, wo sie ihn vermuteten: auf dem
Flughafen oder im Palast.
Nach dem Luftangriff auf den
Königspalast, und nachdem sie vom Scheitern
der Operation erfahren hatten, verliessen
Vizeluftwaffenchef Mohamed Amkrane und Leutnant
Hassan Midawi, die beide an der Attacke auf
Boeing und Palast beteiligt gewesen waren, den
Flugplatz Kenitra in einem Hubschrauber, dessen
dreiköpfige Besatzung den Befehl erhalten
hatte, nach Gibraltar zu fliegen. Die drei
Besatzungsmitglieder erklärten dort den
britischen Offizieren, die sie in Empfang
nahmen, sie hätten mit dem Putschversuch
nichts zu schaffen und wollten sofort nach
Marokko zurück.
Amkrane und Midawi ersuchten um politisches
Asyl in Gross- britannien. Die marokkanische
Regierung forderte hingegen ihre
unverzügliche Auslieferung. Sie wurden in
Gewahrsam gehalten, bis der Gouverneur von
Gibraltar, Sir Varyl Begg, nach Rücksprache
mit dem Aussenministerium in London, den
Beschluss fasste, sie auszuliefern. Der Grund
dafür lag darin, dass die Anwesenheit der
beiden marokkanischen Offiziere in Gibraltar
nach Auffassung der konservativen britischen
Regierung "nicht im Interesse der Allgemeinheit
lag".
Alle fünf Marokkaner wurden in einem
Flugzeug der königlichen Luftwaffe sofort
nach Eintreffen des Auslieferungsentscheids am
Abend des 17. August zurückgeflogen.
Amkrane und Midawi sollten dann ein paar Monate
später zusammen mit elf anderen Piloten an
die Wand gestellt werden.
Nach seinem Eintreffen in Marokko wurde
Amkrane in den Palast zum König gebracht.
"Du bist ein wandelnder Leichnam", sagte Hassan.
öWusstest du, dass du nur noch l8 Monate zu
leben hattest?" "Ich wusste wohl, dass ich wie
alle Menschen eines Tages sterben muss, doch
mein Todestag war mir nicht bekannt", erwiderte
der Offizier. Auf die Frage, wer denn hinter dem
Attentat stecke, entgegnete Amkrane, er habe
seine Befehle von General Oufkir erhalten.
Innenminister Mohamed Benhima sagte einige
Tage nach dem Attentat, er und die übrigen
Minister, die sich zur Begrüssung des
Königs auf dem Flugplatz eingefunden
hatten, seien höchst verwundert gewesen,
als General Oufkir sie ganz plötzlich
verliess und sich in den Kontrollturm begab. Als
der König gelandet war, verlangte er,
Oufkir solle sich sogleich bei ihm melden, aber
dieser war bereits auf dem Weg zu meiner Kaserne
Moulay Ismail.
Ich sass in meinem Panzer auf dem
Kasernenhof. Es war zwischen 16 und 17 Uhr. Ich
hatte eine Maschinenpistole und eine ganze Menge
Handgranaten und war grimmig entschlossen,
notfalls mit meiner Kompanie tagelang Widerstand
zu leisten. Aber was war eigentlich
geschehen?
So etwa um halb fünf sah ich
plötzlich Oufkir, der zusammen mit einem
Hauptmann in einem schwarzen Auto rasend schnell
durch das Kasernentor herangefahren kam. Ich
hatte keine Ahnung, was sich in den vergangenen
Stunden zugetragen hatte. Die Operation, so nahm
ich an, war geglückt, und Oufkir kam zu
mir, damit wir unseren Plan weiterführen
konnten. Als Oufkir ausstieg, hörte ich,
wie ihm jemand aus einem Büro in meiner
Nähe etwas zurief und ihm mitteilte, der
König wolle telefonisch mit ihm sprechen.
Ich sah, wie Oufkir nervös in jenes
Büro ging, wusste aber natürlich
nicht, was er dem König sagte. Zwei Minuten
später sprang er hastig ins Auto und
verliess das Kasernenareal, ohne auch nur ein
Wort mit mir gewechselt zu haben.
Ich begriff nicht, was los war, und konnte
nichts tun als abwarten; auf eigene Faust zu
handeln, wagte ich nicht, da ein solches
Vorgehen alles hätte zerstören
können. Rund eine Viertelstunde später
erblickte ich acht Flugzeuge, die den Palast mit
Raketen attackierten.
Der Königspalast von Rabat gilt in
Marokko als Sinnbild der Korruption, Ausbeutung
und Unterdrückung. Es war ein grossartiges
Erlebnis, mit eigenen Augen sehen zu
dürfen, wie die Flieger dieses Symbol der
Fäulnis mit ihren Raketen beschossen.
Gewiss entsprach dies nicht dem
ursprünglichen Plan, doch ich glaubte,
Oufkir habe dies spontan entschieden, ohne mich
darüber zu unterrichten.
Meine Offiziersfreunde, welche sich in der
Kaserne aufhielten, kamen zu mir und fragten
mich, was das alles zu bedeuten habe. "Sollen
wir denn nichts tun, sollen wir bloss hier
rumstehen und Maulaffen feilhalten?" fragten sie
klagend. Aber ich wollte ihnen nichts
verraten.
Später erfuhr ich, was sich ereignet
hatte. Als Oufkir im Kontrollturm des Flughafens
Rabat-Sal war, erhielt er via Funk
Bescheid von der königlichen Maschine, dass
Hassan tot sei. Gemäss unserem Plan wollte
er nun mich aufsuchen. Ich sollte den Befehl
über die Kaserne übernehmen und dann
die Radiostation umzingeln. Als nächstes
sollte ich unsere Verlautbarung am Radio
verlesen, und Oufkir würde seine
Anweisungen an alle Heereseinheiten ergehen
lassen.
Doch während Oufkir vom Flughafen
unterwegs zu meiner 15 Kilometer entfernten
Kaserne war, landete die Boeing. Als sie sich
über dem Rifgebirge in Nordmarokko befand,
hatte sie von Kouera den Befehl bekommen, in
Kenitra zu landen. Wie bereits berichtet,
gehorchte der Pilot nicht, und Kouera versuchte
die königliche Maschine abzuschiessen. Er
sagte per Funk zu den beiden anderen Piloten:
"Ich opfere mein Leben für mein Land und
mein Volk.ö
Ihm war klar geworden, dass beim
Aufmunitionieren der Jäger ein
verhängnisvoller Fehler unterlaufen war.
Wohl hatte er angeordnet, die Flugzeuge mit
explosiver Kampfmunition zu bestücken, doch
als Kommandant tat er dies nicht selbst. Man
kann nur vermuten, dass die gewöhnlichen
Soldaten, die den Befehl ausführten, einen
Irrtum begangen hatten. Sie waren ja
Analphabeten und irrten sich möglicherweise
in der Munitionskiste, oder aber sie hatten den
Befehl falsch verstanden und meinten, es handle
sich um eine Übung wie gewöhnlich.
Kouera pflegte nie zu kontrollieren, ob man
seine Anweisungen auch wirklich befolgt hatte,
und dies war ein fataler Fehler. Wäre sein
Jäger mit explosiven Raketen und scharfer
Munition bestückt gewesen, so hätte
eine einzige Rakete oder MG-Salve ausgereicht,
um die Boeing abzuschiessen.
Nachdem er mit seinem Fallschirm abgesprungen
war und es den beiden anderen Piloten
ebensowenig geglückt war, die
königliche Maschine abzuschiessen, da sie
ebenfalls die falsche Munition geladen hatten,
kehrten diese auf den Luftwaffenstützpunkt
zurück. Die Nachricht vom Putsch
verbreitete sich dort wie ein Lauffeuer, und
andere Piloten liessen die "Islamische Republik"
hochleben. Zehn von ihnen stiegen mit ihren
Flugzeugen hoch; sie waren es, die ich bei ihrem
Angriff auf den Palast erblickte. Es handelte
sich also um eine improvisierte Aktion, die mich
und ganz gewiss auch Oufkir überraschte und
verwirrte.
Während Oufkir wie gesagt unterwegs zu
meiner Kaserne war, landete der König. Er
und sein Bruder verliessen den Flughafen schon
bald darauf. Der Monarch flüchtete sich in
die libanesische Botschaft, sein Bruder in die
französische. Inzwischen griffen die
Jäger den Flughafen und den Palast an, denn
man glaubte, Hassan habe dort Zuflucht
gesucht.
Als Oufkir in der Kaserne eintraf, klingelte
dort eben das Telefon. Am Apparat war der
quicklebendige König. Wie in drei Teufels
Namen konnte er bloss wissen, dass sich Oufkir
dort befand? Ob er es einfach erraten hatte?
Meine Verlegung war die grösste und
bedeutendste in Rabat. Es mochte ja Zufall sein,
dass Oufkir eben eintraf, als der König
anrief.
Was mag da in Oufkirs Kopf vorgegangen sein?
Niemand weiss es, und es ist müssig,
darüber zu spekulieren. Doch jedenfalls
muss es ihm klargeworden sein, dass die erste
Phase unseres Plans gründlich
schiefgegangen war, so dass man nicht einfach
zur zweiten übergehen konnte. Ob Oufkir
darum kein Wort zu mir sagte, weil er nicht
wollte, dass irgendjemand auf mich aufmerksam
wurde? Ob er meinte, der König wisse nicht,
dass er und ich die Drahtzieher des Putsches
waren? Oder wollte er zuerst wissen, wo sich
Hassan befand, und ihn als erstes erledigen? So
mag es sich verhalten haben. Wie dem auch sei,
jedenfalls fuhr Oufkir ins Hauptquartier der
Armee, das gleich neben dem Palast liegt.
Als die Flugzeuge diesen angriffen, glaubte
er möglicherweise, die Attacke gelte auch
dem Hauptquartier. Deshalb nahm er zusammen mit
anderen Offizieren in dessen Luftschutzkeller
Zuflucht. Vielleicht dachte er auch, wir jungen
Offiziere führten ohne sein Wissen einen
parallelen Putsch durch, weil die Luftangriffe
ja ohne seine Zustimmung erfolgten.
Auch ich war, als ich die Jäger den
Palast beschiessen sah, glücklich und
wütend zugleich, denn einen Augenblick lang
stieg in mir der Verdacht auf, Oufkir habe das
alles hinter meinem Rücken angeordnet. Wir
misstrauten einander, wie schon Ababou und
Madbouh 13 Monate zuvor beim Shkirat-Putsch
einander misstraut hatten!
Jedenfalls herrschte totale Verwirrung. Ich
blieb bei meiner Panzereinheit, um so gut wie
möglich in Erfahrung zu bringen, was denn
nun eigentlich geschehen war. Etwas Licht ins
Dunkel brachte die Meldung, dass Major Kouera in
die Hände der Polizei gefallen war. Kouera
war verletzt und hatte einen Knochenbruch am
Bein davongetragen. Man brachte ihn sofort nach
Rabat.
Offiziell war Oufkir immer noch Armeechef; er
tat so, als wisse er nicht, wer hinter dem
Attentat stand. Aber Kouera wurde im Palast
gefoltert und gestand, dass Oufkir der Urheber
des Putschversuchs war. Nun tat der König
seinerseits so, als sei ihm die Identität
des Putschführers unbekannt. Er setzte sich
telefonisch mit Oufkir in Verbindung,
natürlich ohne diesem mitzuteilen, wo er
sich aufhielt, und ohne ihm zu verraten, dass
Kouera in seiner Gewalt war und ögesungen"
hatte. Hassan befahl Oufkir, die Putschisten zu
verhaften.
Inzwischen war es zwischen l8 und 19 Uhr. Die
Dinge entwickelten sich nun sehr schnell. Oufkir
versuchte, Zeit zu gewinnen, indem er vorgab,
auf der Suche nach den Offizieren zu sein,
welche den Angriff durchgeführt hatten. Er
erfuhr, dass Amkrane zusammen mit den beiden
anderen Offizieren, die gemeinsam mit Kouera die
Boeing angegriffen hatten, per Hubschrauber nach
Gibraltar geflohen waren, und folgerte daraus,
Kouera müsse tot sein. Er glaubte wohl -
wie zunächst auch ich -, Kouera habe beim
Absturz seines Flugzeugs den Tod gefunden.
Ca. um 20 Uhr kam der Panzerchef, Oberst
Hatimi, vom Palast zu meiner Kaserne. Er rief
uns Offiziere zusammen und berichtete,
Verräter hätten die königliche
Maschine angegriffen, doch ein Teil von ihnen
sitze bereits hinter Schloss und Riegel, und die
Lage sei unter Kontrolle. Wahrscheinlich
beorderte Hassan Oufkir zu diesem Zeitpunkt,
sich im Shkirat-Palast einzufinden. Oufkir
folgte dieser Anweisung. Warum in aller Welt tat
er dies? Wollte er den König selbst
umbringen? Oder wollte er sein Spiel
weiterspielen?
Es war nun stockdunkel geworden. Ich erteilte
meinen Soldaten Befehle. Niemand durfte sich
unserer Panzereinheit nähern. Sie sollten
niemandem gehorchen ausser mir. Ich versuchte,
Oufkir telefonisch zu erreichen, doch er war
weder zu Hause noch im Hauptquartier.
Zugleich tat ich mein Bestes, um mich via
ausländische Sender zu informieren, wie die
Dinge standen. In Marokko stehen Presse, Radio
und Fernsehen im Solde der staatlich befohlenen
Lüge. Dies ist bekanntlich in allen
Diktaturen so. Sämtliche marokkanischen
Medien unterstehen dem König. Will man
relativ objektive Informationen über die
Lage im Land, so hört man ausländische
Sender wie BBC oder France Inter. Es kommt heute
nicht selten vor, dass mich jemand von Rabat
nach Stockholm anruft und fragt, ob in Marokko
irgendetwas Neues passiert sei! Doch meistens
melden auch ausländische Medien nur das,
was ihnen in den "offiziellen" Nachrichten
vorgekaut wird.
Um ein Uhr nachts hörte ich auf einem
französischen Sender, in Marokko habe ein
Putschversuch stattgefunden. Dieser sei, so der
Sender, von Luftwaffenoffizieren geführt
gewesen. General Oufkir habe Selbstmord
begangen. Dies war für mich ein gewaltiger
Schock. Ich musste nun raschestens einen
Entscheid fällen. Falls er wirklich Hand an
sich gelegt hatte und der König nichts von
meiner Rolle wusste, konnte ich ja weiterhin in
der Armee Dienst tun, dachte ich mir. Das
marokkanische Radio berichtete nichts über
die Geschehnisse.
Früh morgens verliess ich die Kaserne
durch einen nur wenigen bekannten Ausgang an der
Hinterseite. Durch ein der Kaserne benachbartes
Krankenhaus begab ich mich zu meinem Wagen, der
in einer nahen Garage parkiert war, und fuhr zu
Oufkirs Wohnung.
Wie üblich stand eine Wache beim
Eingang. "Ist der General daheim?" fragte ich.
Zu meinem Schrecken entgegnete die Wache:
"Welcher General?" "Oufkir", vesetzte ich. "Ja,
sie haben seine Leiche letzte Nacht gebracht.
Sie können rein, um sie sich
anzusehen."
Ich betrat das Haus. Die erste Person, die
ich erblickte, war Oufkirs Bruder, Moulay
Hachem, der natürlich todtraurig war. Auch
dem schwarzen Dienstmädchen Coco begegnete
ich. Wortlos und weinend folgte sie mir ins
"arabische Zimmer", wo Oufkir tot auf einem Bett
lag. Er lag auf dem Rücken und war mit
einem weissen Laken bedeckt. Als ich dieses hob,
sah ich viel Blut. Eines seiner Augen war aus
dem Sockel geschossen worden, und zwar, wie ich
deutlich erkannte, von hinten. Ein schöner
Selbstmord! Die Leiche war von gut 50 Kugeln
durchsiebt. Ein solches Kunststück hat noch
nie ein Selbstmörder fertiggebracht.
Ich fragte Coco nach der Tasche des Generals.
In dieser lag nämlich die Kassette mit
unserem Kommuniqu und dem ganzen Text, den
ich von Hand niedergeschrieben hatte. Dieses
Beweisstück durfte natürlich nicht in
falsche Hände geraten. Aber Coco hatte die
Tasche nicht gesehen. Ich fragte Oufkirs zwei
Leibwachen, was sich zugetragen hatte. Sie
erzählten, sie seien zusammen mit ihm zum
Palast gefahren, hätten aber draussen
warten müssen. Rund eine Stunde später
kam General Sefrioui, Führer der schwarzen
königlichen Garde, auf sie zu und wies sie
an, heimzukehren. Der General komme später,
sagte er.
Eine Stunde, nachdem sie in der Villa des
Generals in Souissi eingetroffen waren, kam ein
Krankenwagen angefahren. In ihm sass unter
anderem Hsouni, ein Folterspezialist der
Polizei. Er hatte zu den Mördern Ben Barkas
gehört. Nun brachte er Oufkirs Leiche.
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