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Neue
Pläne für eine Revolte
Die Vorbereitungen für unseren ersten
Putschversuch liefen drei Monate nach der
gescheiterten Skhirat-Revolte an. Sowohl Oufkir
wie auch ich hatten mancherlei Pläne
ausgearbeitet. Bei einer Autofahrt weihte mich
der General in einen seiner Pläne ein.
Dieser erschien mir einfach und
erfolgversprechend. "Fast jeden Donnerstag kommt
Hassan, der ja auch oberster Befehlshaber der
Streitkräfte ist, zum Stab, um das Treffen
der Korpskommandanten zu leiten. Im
Konferenzsaal gibt es einen versiegelten Safe in
der Wand. Ich schliesse dort eine MP ein. Wenn
Hassan eintrifft, brauche ich nur nach der Waffe
zu greifen, um ihn festnehmen zu können.
Ich befehle ihm: Hände hoch! Dann halte ich
eine improvisierte Ansprache, in der ich seinen
sofortigen Rücktritt verlange.ö
Er fertigte eine Skizze an, welche die
Beschaffenheit des Saales zeigte und auf der zu
sehen war, wo sich der Safe befand und wo die
Korpskommandanten und Stabschef sassen. "Sobald
Hassan die Abdankungsurkunde unterzeichnet hat,
sage ich den Offizieren, ich hätte im Namen
des Volkes gehandelt. Ich habe dann ein
Tonbandgerät bei mir, auf dem ich ein
Kommuniqu abspiele. Dieses wirst du
verfassen.
Als nächstes rufe ich General Driss Ben
Omar an, den Minister für Post- und
Fernmeldewesen, und fordere ihn auf, sich mir
zur Verfügung zu stellen. Er willigt
bestimmt mit Freuden ein. Auch Hassans Bruder,
Prinz Moulay Abdallah, erhält von mir einen
Telefon- anruf. Unter irgendeinem Vorwand lasse
ich ihn herbeikommen, und dann verhafte ich ihn.
Schlussendlich berufe ich die Kommandanten
sämtlicher militärischer Einheiten im
Gebiet der Hauptstadt ein.
Du wartest währenddessen im Büro
neben dem Konferenzsaal auf mich. Ich gebe dir
dann ein Zeichen, du fährst mit deiner
Panzertruppe so rasch wie möglich zur
Radio- und Fernsehstation. Diese stürmst du
und sendest darauf das erste revolutionäre
Kommuniqu, das du auf deinem Tonband bei
dir trägst."
Mit Hilfe eines einfachen, in einem
Geschäft in Rabat gekauften
Tonbandgeräts nahm ich eine in arabischer
Sprache verfasste Deklaration auf, die ich zuvor
dem General vorgelegt hatte. Er billigte sie
nach einigen geringfügigen nderungen. Auf
seinen Wunsch hin hob ich die Worte "Revolution"
und "im Dienste des Volkes" besonders hervor.
Hier folgen die wichtigsten Abschnitte der
Erklärung:
Die Islamische Republik Marokko! Freiheit,
politische und wirtschaftliche Demokratie,
islamische Einheit!
Im Namen Gottes und des Volkes, der
Gerechtigkeit und der Menschenrechte, im Namen
aller Märtyrer, für das
Selbstbestimmungsrecht des Volkes und aufgrund
dessen Willen, seine Regierungsform selbst zu
wählen und selbst über sein Schicksal
zu entscheiden, rufen wir eine islamische
Republik aus und erklären die Monarchie
für abgeschafft, die vom Koran verboten
ist!
Wir geben bekannt, dass der Tyrann, Diktator
und Narr Hassan von einem provisorischen
revolutionären Gericht wegen seiner
Verbrechen und Mordtaten gegen unser Volk zum
Tode verurteilt und erschossen worden ist. Ein
provisorischer Revolutionsrat wird bis auf
weiteres das Land regieren, bis ein
Revolutionsrat durch direkte, allgemeine Wahlen
bestimmt worden ist. Das Heer hat den König
entwaffnet, um den Volkswillen zu bewaffnen.
Die Männer, die heute an der Spitze der
Revolution stehen, können nicht zaubern, um
die Erwartungen des Volkes zu verwirklichen. Wir
haben lediglich den König gestürzt. Es
ist nun Sache des Volkes, Schluss mit der
Unterdrückung und Ausbeutung zu machen, die
von Tausenden von kleinen Königen
überall im Lande ausgeht. Wir werden unsere
Bajonette fortan gegen die Tyrannen richten und
nicht gegen das Volk.
Alles war für den grossen Tag
vorbereitet. Es war ein Novemberdonnerstag.
Oufkir hatte die Maschinenpistole mitsamt dem
Tonbandgerät in den Safe gelegt. Am
folgenden Tag setzten wir uns in ein Auto, an
dessen Steuer ein Unteroffizier sass. Bei der
Stabskaserne stiegen wir aus und nahmen den
Gruss der Ehrenwache entgegen. Ich war
festentschlossen und voll wilder Begeisterung.
Oufkirs Ruhe beeindruckte mich.
Er drückte meine Hand und betrat den
Konferenzsaal. Im Büro nebenan wartete ich
eine halbe Stunde, vielleicht auch eine ganze,
ich weiss es nicht genau, denn die Zeit kam mir
endlos vor. Endlich wurde die Tür
geöffnet. Der General trat auf mich zu und
sagte mir betrübter Miene: "Es ist nichts
mit unserem Plan. Der König hat eben
angerufen und ausrichten lassen, dass er nicht
kommt.ö
Sieben nervenzermürbende Tage lang
warteten wir auf den nächsten Donnerstag.
Auch an jenem Tage erschien der Monarch nicht zu
dem schicksalhaften Treffen. Wie mir Oufkir
mitteilte, hatte der König bestimmt, dass
die Versammlungen fortan im königlichen
Palast stattfinden sollten. "Dann erledigen wir
ihn eben dort", schlug ich vor. öViel zu
riskant", wehrte er ab. "Wir müssen einen
anderen Plan ausdenken.ö
Kurz vor Jahresende bat Oufkir Hassan, die
Kaserne zu besuchen, in der die
Sicherheitsbrigade BLS (öBrigade
LgÜre de Scuritö)
stationiert war. Hassan roch offenbar den Braten
und erschien nicht. Ein anderes Mal warteten wir
in der Moulay-Ismail-Kaserne vergeblich auf ihn,
wo meine eigene Panzerkompanie ihr Zuhause
hatte. Es war das Schafsfest, "Aid el Kebir".
Wieder eine verpasste Gelegenheit!
Bald darauf entkam Oufkir mit knapper Not
einem Helikopterunfall in Agadir. "Hassan hat
den Heli mit hundertprozentiger Sicherheit
sabotieren lassen", versicherte er mir. In
Marokko heisst es, Hubschrauber seien da, um
Generäle abstürzen zu lassen.
Wir glaubten im März 1972 würden
wir unsere Mission erfüllen können.
Hassan sollte an einer Konferenz in der
Offiziersmesse teilnehmen. Im Konferenzsaal gab
es auch einen Filmraum. Dort versteckte Oufkir
seine Waffe. Doch der misstrauisch gewordene
König kam nie zum Treffen.
Der nächste Versuch wurde anfang Juni
1972 unternommen. An jenem Tage gab Prinz Moulay
Abdallah in seiner Sommerresidenz zehn Kilometer
nördlich des Skhirat-Palastes einen
privaten Empfang. Anlass zur Festlichkeit war
seine Ernennung zum "persönlichen
Stellvertreter des Königs". Laut Oufkir
würde Hassan dem Empfang beiwohnen. An
einem Juniabend, um 21 Uhr, rief mich Oufkir an
und forderte mich auf, mich in seiner Villa in
Souissi einzufinden.
Nach meiner Ankunft teilte er mir mit, der
Monarch werde um 22 Uhr in Abdallahs
Sommerpalast eintreffen, und zwar ohne eine
grössere Anzahl von Leibwächtern. Wir
fassten den Beschluss, mitten während des
Festes einen Überraschungsangriff zu
landen. Unsere Gruppe sollte nur aus vier
Personen bestehen: Dem General, mir sowie zwei
von Oufkirs Leibwächtern.
Im Gepäckraum des BMW verstaute ich vier
Maschinengewehre aus Oufkirs Arsenal, von denen
eines mit einem Schalldämpfer
ausgerüstet war, vier Maschinenpistolen,
einige Munitionskisten sowie zwei
Tarnanzüge und zwei Schirmmützen mit
Rangabzeichen (wir waren alle vier in Zivil
gekleidet). Die Festteilnehmer waren nicht
darüber informiert, dass der König sie
mit seinem Besuch beehren wollte.
Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass ein
geheimes Militärgericht Hassan II wegen
Verbrechen gegen die Menschlichkeit, gegen den
Islam und das marokkanische Volk zum Tode
verurteilt hatte. Gleich zum Beginn des Putsches
sollte der König hingerichtet werden; die
übrigen Festteilnehmer wollten wir
festnehmen. Dann würden wir nach Rabat
fahren, wo ich die Operation mit meinen
Panzertruppen abschliessen sollte.
Ehe wir Oufkirs Schlafzimmer verliessen, wo
wir die letzten Einzelheiten besprochen hatten -
es war nun rund 22 Uhr -, küsste der
General den Heiligen Koran und erklärte:
"Ich tue dies für mein Land." Ich nahm ihm
dann der Koran aus der Hand, legte meine Hand
darauf und schwor, dass ich bereit war, mein
Leben für die Sache Gottes und des Volkes
im Kampf gegen Tyrannei, Unrecht und Sklaverei
zu opfern.
Als wir zur Residenz des Prinzen in Fallouka
gelangten (auf dem Weg zwischen Skhirat und
Rabat), erblickten wir zu unserem Schrecken ein
rundes Dutzend Polizeiautos vor dem
Gebäude. Wenn der König inkognito
unterwegs war, wurde er gewöhnlich nicht
von einer derart grossen Eskorte begleitet. Das
Hauptereignis bei solchen königlichen
Vergnügungen besteht darin, dass sich die
Gäste mit Wein und Schnaps die Bäuche
volllaufen lassen.
Auf der anderen Seite des Palastes war ein
Lastwagen mit Soldaten der königlichen
Leibwache parkiert. Oufkir, der nicht zu den
geladenen Gästen gehörte, ging allein
in das Gebäude, um das Terrain zu
sondieren. Währenddessen wartete ich
draussen. Zwei Stunden später kehrte er
zurück. "Es ist technisch unmöglich",
teilte er mir niedergeschlagen mit.
Ein weiterer Versuch schlug zwei Wochen
später fehl. Er ähnelte dem ersten,
der in der Kaserne des Armeestabs hätte
stattfinden sollen. Oufkir hatte Hassan gebeten,
für die Offiziere einen Vortrag über
ömoderne Strategie" zu halten. (Hassan ist
nämlich felsenfest davon überzeugt,
dass er etwas von Strategie versteht, doch sind
die einzigen einschlägigen Schriften, die
er ernsthaft studiert hat, Macchiavellis
öFürst" und die "Protokolle der Weisen
von Zion". Unser König ist nämlich ein
glühender Bewunderer Macchiavellis und der
Juden.)
Der Vortrag sollte in der Kantine des
Armeestabs über die Bühne gehen. Auch
diesmal war geplant, dass Oufkir den Monarchen
während der Zusammenkunft überrumpeln
sollte; im folgenden würde alles so
ablaufen, wie wir es beim ersten Versuch geplant
hatten. Aus unbekannten Gründen fand sich
der König nicht ein.
Um der Welt gleich klarzumachen, welche
Richtung unsere Revolution verfolgte, hatten wir
den Plan geschmiedet, noch am Tage des Putsches
den ägyptischen Journalisten Mohamed Heykal
einzuladen. Dieser ist ein bekannter
Nasser-Anhänger. Zum damaligen Zeitpunkt
war er Chefredakteur der Kairoer Zeitung
Al-Ahram. Damals war die islamische
Erweckungsbewegung noch keine revolutionäre
Kraft wie heutzutage. Die damalige
Moslembruderschaft stand den Monarchien in
Saudiarabien und Marokko näher als den
Revolutionären.
Dass Hassan zu den verschiedenen
Verabredungen nicht erschien, lag wohl vor allem
daran, dass er allzu beschäftigt mit seinem
Privatleben war. Seine Hauptinteressen sind
Haschisch, Frauen und Golf, was bedeutet, dass
er ein vielbeschäftigter Mann ist und
leider nicht mehr allzu viel Zeit findet, um
sich den lästigen staatspolitischen
Pflichten zu widmen.
Sein Tagesprogramm sieht gewöhnlich etwa
so aus: Er steigt ca. um 11 Uhr aus dem Bett,
fährt zum Golfplatz und spielt bis ca.
12'30 Uhr. Während er sich dem Golfspiel
hingibt, laufen ihm Minister und höhere
Offiziere nach, damit er allerlei Urkunden
unterschreiben kann. Um 16 Uhr empfängt er
vor surrenden Fernsehkameras Gäste (er legt
allergrössten Wert darauf, tagtäglich
am Fernsehen zu erscheinen). Am Abend ist es
dann schon wieder höchste Zeit für
Nutten und Hasch. Diesen Freuden widmet er sich
bis tief, tief in die Nacht hinein.
Vor dem Gipfeltreffen der Organisation
für afrikanische Einheit, die 1972 in Rabat
abgehalten wurde, liess der König
sämtliche Heeres- einheiten in
Alarmbereitschaft versetzen. Nicht einmal die
Offiziere bekamen Urlaub. Ich schlug Oufkir vor,
wir sollten am 10. Juli, dem Geburtstag Hassans,
einen neuen Putschversuch unternehmen, also
genau ein Jahr nach der Skhirat-Revolte. Im
Skhirat-Palast würde dann mit grossem Pomp
eine Zeremonie stattfinden, zu der die
üblichen Gäste eingeladen waren. Der
General verwarf meinen Plan, aber ich begab mich
auf eigene Faust zum Palast, um der schandbaren
Geburtstagsfeier beizuwohnen.
Zum zweiten Male befand ich mich im Palast in
Gegenwart des Menschenschinders und sah mir sein
Gesicht an, auf dem tausend Laster ihre Spuren
hinterlassen hatten. Als Cowboy ausstaffiert,
schäkerte er mit seinen katzenbuckelnden
Gästen. Zum Auftakt forderte er sie in
französischer Sprache auf, zum Gedenken an
die Opfer im vergangenen Jahr am gleicher Stelle
verübten Verrats einige Schweigeminuten
einzuschalten.
Am folgenden Abend lud der König Oufkir
zu einem Empfang ein, der die Bezeichnung "Nacht
der Frauen" trug. Nach seiner Rückkehr
erzählte der General zutiefst angewidert,
dass Hassan sternhagelvoll gewesen war. Er hatte
allen anwesenden Frauen die Hand geküsst
und ihnen dann eine Handvoll Juwelen
hingeworfen. Die hohen Damen, Ehegattinnen oder
Geliebte der Minister und höheren Beamten,
hatten sich darauf gestürzt und sich um die
kostbaren Steine gebalgt. Hassan war so besoffen
und dazu mit Drogen vollgepumpt, dass er sich
kaum noch auf den Beinen halten konnte. Zwei
Leibwächter stützten ihn die ganze
Zeit über, wobei sie unablässig
schnarrten: "Lange lebe Amir al- Mouminen"
(öder heilige Führer der
Gläubigenö).
Während eines Mittagessens im Hause
Oufkirs wurden die letzten Einzelheiten des
Plans zum Sturz König Hassans des Zweiten
ausgearbeitet. Am nächsten Tag sollte der
Monarch zur Abdankung gezwungen oder, im Falle
einer Weigerung, von einem revolutionären
Geheimtribunal zum Tode verurteilt und
hingerichtet werden. Nun, beim Mittagessen,
wurde es endgültig beschlossen: Der
darauffolgende Tag, der 16. August 1972, sollte
der letzte Tag sein, an dem Marokko von einem
Mann beherrscht wurde, den beide Tischgäste
als Despoten und Tyrannen betrachteten und von
Herzen verabscheuten.
Ein Jahr heimlicher Überlegungen und
genauer Planung war ver- gangen. Der Zeitpunkt
zum Sturz des Gewaltherrschers war da. Die
beiden Männer am Tisch waren sich über
alle Details des bevor- stehenden Staatsstreichs
einig; die Untergrundarbeit des verflossenen
Jahres hatte uns zusammengeschweisst. Wir
vertrauten einander so sehr, wie zwei Menschen
einander in einer Situation vertrauen
können, in der sie beide Gefahr laufen,
durch Irrtum oder Verrat zu scheitern und unter
langen Folterqualen zu sterben.
Unser Ziel war dasselbe, zumindest
kurzfristig: den König zu stürzen.
Doch so sehr ich auch die taktischen Vorteile
einer Zusammenarbeit begriff, war ich mir stets
im klaren darüber, dass wir eigentlich zwei
grundverschiedene Menschen waren, und es ist
schwer vorstellbar, wie unsere Zusammenarbeit
auch nur die ersten Stunden des Triumphs nach
einer geglückten Revolution hätte
überleben können.
Die Luxusvilla, in der wir beim Mahle sassen,
lag im vornehmen Viertel Souissi am Rand der
Haupstadt Rabat. Gastgeber war General Mohamed
Oufkir, Verteidigungsminister und Armeechef,
nächst dem König der mächtigste
Mann Marokkos. General Oufkir war 52 Jahre alt,
der Abstammung nach Berber und im Dorf Ain Chair
in der Nähe von Ksar-Souk im Hohen
Atlasgebirge geboren, wo sein Vater
Stammeshäuptling gewesen war.
Ich, sein Gast, war ein junger
Panzerleutnant, der ungefähr 25 Jahre
zählte. Mein genaues Alter ist mir nicht
bekannt, weil in dem kleinen Berberdorf in
Südmarokko, wo ich das Licht der Welt
erblickte, keine Geburtsregister geführt
wurden. Einige Jahre zuvor war ich zum engsten
Mitarbeiter des Generals sowie zu seinem
persönlichen Adjutanten ernannt worden, was
zur Folge hatte, dass mein Einfluss weit
grösser war, als mein niedriger
Offiziersrang erahnen liess.
An diesem schicksalshaften Tag waren wir
beide gezwungen, einander zu vertrauen, da wir
uns zur Zusammenarbeit bei einem Unternehmen
entschieden hatten, das uns beide das Leben
kosten konnte, falls es vorzeitig aufgedeckt
wurde. Und dennoch: noch ein gutes Jahr zuvor
war General Oufkir der Mensch gewesen, den ich,
vom König selbst abgesehen, am meisten von
allen verabscheute.
Damals stand Oufkir für all das, was mir
am stärksten zuwider war:
Willkürherrschaft, Despotismus,
Unterdrückung, Korruption und ganz
besonders Unmoral. Der General deckte ein
System, welches allen fundamentalen Werten des
islamischen Glaubens zuwiderlief, denn diese
sprechen nicht von Königen oder
Fürsten, sondern von Menschen gleichen
Ranges.
Der General stand an der Spitze eines Heeres,
das nicht dort eingesetzt wurde, wo es meiner
Überzeugung nach hätte eingesetzt
werden müssen, nämlich im Kampf
für die Einigung der Muselmanen und Araber,
für die Rechte der Palästinenser und
gegen den Okkupanten- staat Israel.
Nein, die Streitkräfte wurden in Marokko
zurückgehalten, um Ungerechtigkeit und
Stagnation zu schützen, um auch den
geringsten Ansatz zu einem Volksprotest gegen
die sozialen Missstände abzuwürgen,
die man doch buchstäblich mit Händen
greifen konnte, wenn man sich nur die Mühe
nahm, sich einige hundert Meter vom
Königspalast zu entfernen und den
entsetzlichen Slum in Chella zu betreten, der in
einem Tal gleich unterhalb der Palastmauern lag,
oder seine Füsse ins Slumquartier Jaacob el
Mansour unten beim Strand zu setzen, wo 35'000
Menschen bloss einige Kilometer vom Luxusviertel
entfernt zu überleben versuchen.
Ja, die Ungerechtigkeiten waren für
jeden ersichtlich, der sie sehen wollte.
Menschen lebten in tiefster Erniedrigung und
ohne Hoffnung. Sie sahen dem morgigen Tag mit
Bangen entgegen; ihre Existenz konnte
urplötzlich ein Ende nehmen, ohne jegliche
Spuren zu hinterlassen, und nichts würde
dann darauf hindeuten, dass hier ein Mensch
gelebt und geatmet und auf eine gerechtere,
sorgenfreie Welt zu hoffen gewagt hatte. Das
Dasein dieser Menschen glich einem flackernden
Licht, das jäh erlöschen konnte, weil
die Schergen des Königs sie aufgespürt
und dafür zur Verantwortung gezogen hatten,
dass sie es wagten, ein besseres Leben zu
fordern.
Seitdem ich als Student in der Mitte der
sechziger Jahre politisch bewusst geworden war,
hatte ich Oufkir verabscheut, bekämpft und
gefürchtet. Er war zuerst Polizeichef und
dann Innenminister. 1965 stand er an der Spitze
der Truppen, die eine spontane Revolte für
Menschenrechte, für mehr Brot und
vielleicht auch für ein wenig mehr Freiheit
niederschlugen. Ich selbst wurde damals
festgenommen und als einer der
Rädelsführer gefoltert.
Nun sass ich am 15. August 1972 demselben
Oufkir am Mittagstische gegenüber und
besprach die letzten Einzelheiten eines Plans,
um mit der Tyrannei Schluss zu machen, die der
General selbst mitgetragen hatte. Oufkir hatte
sich geändert, nicht ich.
Wir waren jetzt Partner in einem Unterfangen,
das für uns mit Marter und Tod enden
konnte. Binnen vierundzwanzig Stunden konnte
jeder von uns beiden tot sein. Sollte unserem
Wagnis aber Erfolg beschieden sein, so
würden wir unweigerlich wieder zu Gegnern
werden. Allzu verschieden war unser Hintergrund,
unsere Erfahrung, unsere ideologische
Überzeugung und unsere Auffassung von
Gerechtigkeit. Oufkir war ein Mann der
Vergangenheit. Ich verkörperte die
Zukunft.
Ich war bereit, mich mit dem Leibhaftigen
selbst zu verbünden, wenn dies zum Sturz
des Tyrannenregimes in Marokko führen
konnte, dachte ich später. Während des
Tischgesprächs konnten wir einen unklaren
Punkt in unserem Plan beilegen. Der König
hatte mitteilen lassen, er werde am
nächsten Tag mit dem Flugzeug von
Frankreich nach Marokko zurückkehren. Im
Verlauf des Vormittags hatte Oufkir diese
Nachricht vernommen.
Der Reserveplan, der darin bestanden hatte,
das Schiff des Monarchen zu überfallen,
konnte somit ad acta gelegt werden. Die
Verwantwortung lag nun bei der Luftwaffe. Drei
Kampfflugzeuge sollten in dem Augenblick, wo
sich König Hassans Boeing 727 der
marokkanischen Küste näherte, auf
diese zufliegen, scheinbar als Begleitflugzeuge,
doch der Befehl der Piloten lautete dahin, das
Flugzeug des Königs zur Landung auf dem
Militärflugplatz in Kenitra zu zwingen.
Dort sollten die aufständischen Truppen
über das Geschick des Herrschers
entscheiden. Zum Abschluss des Mittagessens
zitierten wir nach altem Ritus dies Sure Al
Fatiha aus dem Koran.
Um sechs Uhr früh fielen am 16. August
1972 die ersten Sonnenstrahlen auf die 13
Jäger, welche auf dem
Mililtärflugplatz von Kenitra, drei Meilen
nördlich der Hauptstadt Rabat, stationiert
waren. Es war ein idealer Tag zum Fliegen.
Bei den Maschinen handelte es sich um
amerikanische Flugzeuge des Typs Northrop F 5.
Sie waren fast alle Jäger, die der
marokkanischen Luftwaffe zur Verfügung
standen. Bewaffnet waren sie mit unbeweglichen
Kanonen. Bei Angriffen auf Bodenziele waren
diese eine erstklassige Waffe, doch zur
Bekämpfung von Luftzielen eigneten sie sich
bedeutend weniger.
Unter dem gesamten Personal des
Luftstützpunkts, inklusive den 450
Amerikanern im US- Sektor, denen unter anderem
die Ausbildung der marokkanischen Piloten
anvertraut war, gab es nur einen einzigen Mann,
der vom bevorstehenden Staatsstreich wusste.
Dieser Mann war Major Kouera, Leiter des
marokkanischen Stützpunktsektors.
Am Vorabend hatten Kouera und einer seiner
Vorgesetzten, Vizeluftwaffenkommandant Mohamed
Amkrane, General Oufkir in einer Bar in
Casablanca getroffen und die letzten
Instruktionen erhalten, die ich mit Oufkir
zusammen ausgearbeitet hatte. Sowohl Kouera als
auch Amkrane waren in Rif geboren, einer
ärmlichen Berggegend in Nordmarokko.
Beide waren Berber und hatten keinesfalls
vergessen, mit welcher Brutalität der
damalige Kronprinz und Armeechef und heutige
König im Jahre 1958 einen Aufstandsversuch
der dortigen Bevölkerung unterdrückt
hatte. Es war die letzte von vielen Revolten
gegen die neokolonialistische Zentralmacht, die
von Rif ausgegangen war. Es hatte keiner
sonderlichen Überredungskunst bedurft, um
die beiden für die Widerstandsbewegung der
"Freien Offiziere" zu gewinnen.
Bereits im April hatte Amkrane vom Plan der
"Operation Überfliegen" erfahren. Er hatte
Oufkir dann mitgeteilt, wegen seiner schlimmer
werdenden Nierenkrankheit könne er keinen F
5 fliegen. Als Stellvertreter hatte er den
Kommandanten des Luftwaffenstützpunkts
Kenitra, Major Kouera, vorgeschlagen.
Am 15. August, also dem Tag vor dem Putsch,
trafen sich alle drei bei Madame Lazrak, der
Gattin eines ehemaligen Finanzministers. Oufkir
hatte die letzten Einzelheiten des Plans
enthüllt und hinzugefügt, dessen
Gelingen sei hundertfünfzig-prozentig
sicher. Sollte trotzdem irgendetwas schiefgehen,
so würde sich Oufkir auf dem Flugplatz von
Rabat-Sal befinden und selbst den Befehl
über die dortigen Truppen
übernehmen.
Zwei andere auf der Luftbasis stationierte
Militärs, Hauptmann Lhjad Larabi und
Leutnant Hassan Midawi, wussten an jenem
schicksalhaften Morgen des 16. August noch
nicht, dass sie dazu auserkoren waren, die
beiden anderen Eskortflugzeuge zu steuern.
Aus Sicherheits-erwägungen und zur
strikten Wahrung des Geheim- nisses hatten
Oukfir und ich beschlossen, dass nur die
unmittelbar bei der Operation Beteiligten in den
Plan eingeweiht werden sollten. Ausser Oufkir
und mir kannten lediglich Amkrane und Kouera die
"Operation Überfliegen".
General Oufkir tat während der Nacht vom
15. auf den 16. August kein Auge zu. Er blieb
bis zum Morgengrauen auf und fuhr dann, ohne
jemandem ein Wort zu sagen, nach Temara,
unmittelbar südlich von Rabat. Gegen elf
Uhr kehrte er in seine Villa in Souissi
zurück.
Er hatte zusammen mit
Vizeluftwaffenkommandant Amkrane Oberst Lyoussi
getroffen, den Oberbefehlshaber der
Luftstreitkräfte. Oberst Lyoussi hatte sich
dazu überreden lassen, drei F-5-Maschinen
auszusenden, die den König bei seiner
Heimkehr nach Marokko eskortieren sollten.
Auf König Hassans Schloss nahe der Stadt
Beauvais, acht Meilen nördlich von Paris,
traf man an jenem Morgen Vorbereitungen für
die Rückkehr nach Marokko. Der Monarch
hatte im Rahmen eines Privatbesuchs drei Wochen
auf jenem Schlosse zugebracht.
In seiner Gesellschaft befand sich unter
anderem auch Oberst Ahmed Dlimi, Kommandant der
königlichen Adjutanten und ehemals
höchster Polizeichef. Unter Einbeziehung
der Hofschranzen, Konkubinen,
Regierungsmitglieder und Leibwachen - letztere
wurden von einem französischen
Söldner, Kommissar Sassia, kommandiert -
waren es rund hundert Personen, die nun, wo die
Sommerferien zu Ende waren, mit dem König
nach Marokko zurückfliegen sollten.
An jenem Tage stieg ich wie gewöhnlich
um sechs Uhr auf und nahm mein
Frühstück zu mir. Den General sah ich
am Morgen nicht. Nach dem Frühstück
fuhr ich in meinem Fiat zur Verlegung. Auf dem
Hintersitz lag meine grüne Felduniform, die
ich dann in der Verlegung anziehen würde.
Ich dachte daran, was der General gesagt hatte,
als er mich um halb vier weckte. Er war gerade
von Casablanca zurückgekommen, wo er mit
Amkrane und Kouera in einer Bar auf der Avenue
Hassan II. ein letztes Gespräch
geführt hatte.
öNun liegt alles in Gottes Händen",
hatte der General gesagt. "Alles ist wohl
vorbereitet, und die Lage sieht gut aus." Er
wollte noch ein letztes Mal die Tonbandaufnahme
unseres Kommuniqus hören, welches ich
entworfen hatte und dass wir nach dem
geglückten Staatsstreich am Rundfunk
verlesen wollten.
Ich empfand seltsamerweise weder
Nervosität noch Angst, sondern fühlte
mich glücklich. Mein ganzes Leben lang
hatte ich auf diesen Tag gewartet, an dem ich
mich am Sturz des Tyrannenregiments in Marokko
beteiligen würde. Deshalb war ich von
Begeisterung erfüllt, aber äusserlich
ganz ruhig und kühl.
Die Möglichkeit eines Scheiterns zog ich
gar nicht erst in Betracht. Es schien sich von
selbst zu verstehen, dass alles nach Plan
verlaufen würde. Die Aussicht, selbst dabei
mitzuwirken, wie der Lauf der Geschichte in
meinem eigenen Land verändert wurde,
erfüllte mich mit einem phantastischen
Gefühl, und ich war dem Schicksal dankbar,
dass es mir diese Rolle zuteil werden liess.
Freudig nahm ich da alle Risiken auf mich, um
mein Land von der Herrschaft der Schurken zu
befreien, die es unterjocht hielten.
Während der Morgenstunden prüfte
ich nach, über wieviel Munition meine aus
17 Panzerfahrzeugen des Typs EBR bestehende
Einheit verfügte. Ich erteilte ferner
meinem Adjutanten die Anweisung, Mannschaft,
Material und Waffen zu inspizieren. Dabei
bemühte ich mich, das Ganze wie eine reine
Routineangelegenheit aussehen zu lassen. Bis zum
Mittagessen mit Oufkir passierte dann nichts
Besonderes mehr.
Als wir um zwei Uhr bei Tische sassen,
einigten wir uns darauf, dass ich wie geplant
zur Kaserne zurückkehren und mich dort mit
meinen Fahrzeugen bereithalten sollte. Der
General sollte zum Flugplatz in Sal
ungefähr 15 km nördlich von Rabat
aufbrechen. Er sollte sich direkt zum
Kontrollturm begeben und dort abwarten, bis der
Funkkontakt mit der Boeing des Königs
hergestellt werden konnte.
Sobald er die Nachricht erhielt, dass die
erste Phase der Operation erfolgreich
abgeschlossen war, sollte er mich in der Kaserne
Moulay Ismail aufsuchen, die gleichfalls dem
Panzerstab der Armee unterstand. Dort sollte der
Auftakt zum Putsch erfolgen. Sobald Oufkir bei
mir eingetroffen war, sollte ich das Kommando
über die Kaserne übernehmen und den
Befehlshaber der Panzerstreitkräfte, Oberst
Hatimi, verhaften, wenn dieser in die Kaserne
kam. Seine Festnahme sollte keine
Schwierigkeiten aufwerfen.
Es gab noch andere "Freie Offiziere", die von
anderen Städten eintreffen würden, um
uns zu helfen, und ich würde ihnen
mitteilen, wer alles zu verhaften war.
Angesichts der Stimmung in der Armee und im Volk
rechneten wir damit, dass sich jedermann der
Revolte anschliessen würde, sobald
irgendjemand den Anfang gemacht hatte. Unser
Stützpunkt sollte die auslösende Rolle
spielen. War der König erst aus dem Wege
geräumt, so war mit keinem ernsthaften
Widerstand mehr zu rechnen. Oufkir war ja
zumindest auf dem Papier Oberkommandierender
sämtlicher Streitkräfte, und er stand
auf unserer Seite.
Nach einem Jahr als Verteidigungsminister war
Oufkir unter jungen Offizieren recht beliebt
geworden. Ich sollte die führenden
Offiziere in der Kaserne Moulay Ismail
festnehmen und anschliessend den Befehl
über die anderen 40 Tanks und l'000 Mann
sowie 20 "Freien Offiziere" übernehmen, die
von anderen Einheiten zu uns stossen sollten.
Unserem Plan zufolge sollte Oufkir den
Alarmzustand für alle Heereseinheiten
einschliesslich den in der Hauptstadt
stationierten ausrufen.
Gleich nachdem ich nach dem Mittagessen
wieder in die Kaserne zurückgekehrt war,
trafen die ersten Anweisungen ein, und ich
konnte nun den Befehl zur Ausrüstung der
Panzer mit Kampfmunition erteilen, ohne dass
dies jemandem auffiel. Um 14'30 Uhr traf der
Befehl vom Hauptquartier ein. Ehe Oufkir dieses
verliess, um zum Flugplatz hinauszufahren, rief
er den Panzerkommandanten Oberst Hatimi an und
beorderte ihn zum Flugplatz, wo wir alle
führenden Persönlichkeiten und
Minister zur Begrüssung des Königs
versammeln wollten, um sie dann allesamt zu
verhaften, sobald der König selbst in
unserer Gewalt war.
Ich plauderte mit einigen Offizieren und
scherzte mit ihnen über den Skhirat-Putsch.
Alles sollte einen ganz normalen,
routinemässigen Eindruck hinterlassen, und
doch empfand ich das nagende Gefühl,
irgendetwas würde schiefgehen. Ich war
nicht besonders glücklich über die
Entscheidung, die drei Piloten loszuschicken.
Wer konnte denn ausschliessen, dass der
König während des Fluges durch
Funkkontakt Wind von der ganzen Sache bekommen
und dann den Befehl erteilen würde, das
Flugzeug solle anderswo landen?
öIch weiss eine bessere Lösung",
sagte ich zu Oufkir, während wir beim
Mittagsmahle sassen. "Wir lassen den König
unbehindert auf dem Flughafen Rabat-Sal
landen, den ich dann schon mit meiner
Panzereinheit umstellt habe. Dann nehme ich ihn
selbst auf dem Flughafen fest, zusammen mit
allen Ministern und hohen Offizieren, die auf
ihn warten. Wir sperren sie in eine
Flugzeughalle ein, bis wir die Lage im Griff
haben. Alle können die Verhaftung des
Königs miterleben, und dann werden sie
begreifen, dass seine Macht gebrochen
ist.ö
Oufkir lehnte diesen Vorschlag ab. Falls die
drei Piloten die Maschine des Königs nicht
zum Landen zwingen könnten, würden sie
sie eben abschiessen, meinte er. "Es besteht
nicht die geringste Gefahr des Scheiterns. Unser
Plan ist hundertfünfzigprozentrig sicher",
sagte Oufkir. Dies waren die letzten Worte, die
ich von ihm hörte, ehe ich zur Kaserne
Moulay Ismail losfuhr. Ich sass in meinem Panzer
und wartete ab 15'00 Uhr auf die erwartete
Nachricht.
Im Kontrollraum der Luftwaffenbasis von
Kenitra stand zur gleichen Stunde der
Vizeluftwaffenchef, Oberstleutnant Mohamed
Amkrane, dem eine Gruppe von Offizieren
unterstellt waren. Vom Kontrollturm aus konnten
sie hören, was im Luftraum zwischen Kenitra
und dem Mittelmeer ablief. Major Kouera und zwei
andere junge Offiziere waren bereits
losgeflogen, um die Boeing des Königs bei
ihrem Heimflug zu treffen.
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